Review: The Leftovers S01E02 - PewPewPew

Review: The Leftovers S01E02

08 Jul, 2014 · Sascha · Fernsehen,Review

Leftovers HBO 102
© HBO

Nach der losen Einführung in das postapokalyptische Mapleton zieht die Serie das Tempo an und überrascht mit ehrlichen Figuren, die schnell zueinander finden. Die Frage dabei ist nur, welche davon überhaupt real sind und wohin dieser verdammte Bagel verschwunden ist.

Die TV-Landschaft hat sich in den vergangenen Jahren zweifellos drastisch verändert. Showrunner Damon Lindelof hat mit Lost sicherlich dazu beigetragen, im positiven als auch negativen Sinne. Ein von Seiten der Produktion oft angesprochenes Problem bestand in der enormen Anzahl an Episoden, die in einer üblichen Staffellänge eines Networksenders wie ABC zu bewerkstelligen sind. Dies stand in den ersten drei Staffeln offensichtlich im Konflikt mit dem High Concept einer Inselserie, die immer subversivere Züge annahm. Erst mit dem drei Jahre im Voraus geplanten Serienende und einer niedrigeren Episodenzahl konnten uninteressante Subplots um neu eingeführte Charaktere oder ganze Folgen um das Tattoo einer Figur entfallen. Man widmete sich dem Essentiellen und die Show atmete erschöpft, aber dankbar auf. No breaths wasted.

The Leftovers spielt mit einem ähnlichen Konzept und würde sich ebenfalls prinzipiell für eine höhere Episodenzahl eignen. Über eine halbe Staffel hinweg könnten sicherlich kleine Geschichten wie die um die Gummibärchen in der letzten Woche auf Waynes Anlage geschrieben werden. Neue Gäste, die Heilung bedürfen, oder Versorgungspässe könnten zu interessanten Episodenarcs verhelfen. Stattdessen aber schreitet der Plot in Windeseile voran. Während der Zuschauer letzte Woche noch mit der geheimen Anlage von Wunderheiler Wayne im Dunkeln zurückgelassen wurde, beginnt diese Woche erfrischend mit einer schnellen Entmystifizierung dieses Kults. Es ist erfreulich, dass die Regierung im Informationszeitalter nicht so ahnungslos charakterisiert wird, wie es zu befürchten war. Spätestens nach den Enthüllungen durch Edward Snowden hätte diese Darstellung einer solchen Einrichtung im Staate die operative Logik dieser Institution behindert.

Peter Berg führt nach dem Pilot erneut Regie und lässt die Kamera keine Sekunde ruhen. Der fast schon dokumentarische Stil ist sein Markenzeichen. Bereits zuvor fängt er aber das Vorgespräch der zwei Regierungsbeamten stimmungsvoll ein. Trotz der Beiläufigkeit der Konversation, die im Kontrast zu dem steht, was folgt, wirken die Figuren gehetzt und ausgelaugt von der Arbeit. Wir werden wohl nicht mehr von der Außenwelt erfahren als in dieser bisher beliebigen Nebenhandlung, aber die Guilty Remnant und andere, eventuell aggressiver agierende Kulte dürften die nationalen Institutionen auf Trab halten. Der mit dem Departure verbundene Extremismus lässt daher auch den überaus krassen Überfall auf Waynes Lager in einem anderen Licht erscheinen und weckt Erinnerungen an den Davidianer-Zwischenfall in Waco 1993.

Tom kann sich nur mit Blut an den eigenen Händen aus der Situation und mit Waynes Lieblingsasiatin Christine an einen Rückzugsort retten. „She’s important“, lässt uns Tom wissen und zunächst nur eine persönliche Motivation erahnen, doch Wayne bestätigt eine tiefergehende Bedeutung: „This girl is everything.“. Mit Ausnahme von Paterson Josephs enigmatischer Figur und seiner intensiven Darstellung kann diese Nebenhandlung bisher jedoch wenig überzeugen. Chris Zylka gibt Toms Verzweiflung durch markerschütternde Schreie ein gewisses Gewicht, doch seine Motivation – oder das Fehlen dieser – reichen momentan nicht aus, um zu fesseln. Bisher überzeugt die Geschichte ebenso wenig wie Waynes heilende Umarmungen. Immerhin vermögen die grotesken Züge von Waynes intensiver Verbindung zu seinen Gefolgsleuten – bis über den Tod hinaus – interessieren.

Nach diesem actionreichen Opening werden wir zum ersten Mal mit der Titelsequenz der Serie begrüßt. Unterlegt mit einem tragischen Klagen der Streicher von Komponist Max Richter schweben wir entlang eines mobilen Freskos, das die suburbanen Streitigkeiten und familiären Probleme aufgreift sowie den zentralen Verlust durch den Departure mit davon schwebenden Personen betont. Zweifellos ist diese Titelsequenz kein moderner Klassiker wie die mechanische Zusammensetzung Westeros, aber die Sequenz ist wirkungsvoll und kann in ihrer religiösen Symbolik und historischen Tradition dem Folgenden ein gewisses Gewicht verleihen.

Dabei hätte das Nora Durst (Carrie Coon) gar nicht nötig. Wie in der Pilotfolge vermerkt wurde, verlor sie am 14. Oktober ihre gesamte Familie. Überbleibsel in ihrem Auto erinnern daran, dass sie den Verlust nicht verarbeitet hat. Ihr auffällig irrationales Verhalten und eine Magnum in ihrer Handtasche erwecken das Interesse von Jill und Aimee, die ihr daraufhin zu einem Treffen mit einem älteren Ehepaar folgen.

Nora arbeitet für eine Organisation (wahrscheinlich die Regierung), die sich mit dem Verschwinden der Personen auseinandersetzt. Gegen eine Bezahlung beantworten die Eltern zusammenhangslose und eindringliche Fragen zum Privatleben ihres verschollenen Sohnes. Hatte er Allergien? War er jemals in Brasilien? Konnte er kochen oder beherrschte er eine Fremdsprache? Dass diese Rasterfahndung erfolglos blieb, ist nicht erwähnenswert; aber die bloße Tatsache, dass diese Befragungen stattfinden, unterstreichen das Versagen von konventionellen Antworten. Zurück bleibt nur das Leid und der Frust, der im besten Fall im Büro des Psychologen entladen wird. Im schlimmsten Fall prallen die Massen wie in der Pilotfolge aufeinander. Wie auch immer, die Pinguine gewinnen. Wir verlieren.

Ein Hauch von LOST

Wir müssen währenddessen weiterhin unter der mäßigen und zweifelhaften Charakterisierung der Teenager leiden. Zwar kann Aimee diese Woche immerhin durch ihre offene Art die Vermutung vieler Zuschauer ansprechen, dass wohl auch einige Morde unerklärt bleiben werden durch das Verschwinden am 14. Oktober. Doch ihre Existenz scheint von Seiten der Autoren nur dadurch berechtigt, um Jill nachdenklicher und sympathischer erscheinen zu lassen sowie als Verbindung zu Noras Plot zu dienen. Sie werden hier von Seiten des Drehbuchs ähnlich ausgenutzt wie die Prius-Zwillinge von den Mädchen.

Ansprechender gestaltet sich der Einblick in die Hierarchie der Guilty Remnant. Nach Megs Aufnahme sind einige Wochen vergangenen. Im Ort ist Schnee gefallen, die Vorweihnachtszeit beginnt, doch von dieser kalten Idylle fehlt jede Spur. Stattdessen verweilt sie mit Jensen (ein vulgärer Victor Williams, Deacon aus King of Queens) immer noch im Aufnahmehaus. Es ist ihr noch gestattet zu reden, doch ihr Fortschritt unter Schirmherrin Laurie geht schleppend voran – zum Missfallen von Patti Levin, großartig gespielt von Ann Dowd, die mit wenigen Blicken und einem aggressiven Schreibstil die bisher packendste Performance der Serie abliefert.

Draußen im Wald soll Meg einen Baum fällen. Der Grund ist ihr unbekannt. Sie mag die Symbolik verstehen, doch emotional ist sie noch nicht auf dem Level der Guilty Remnant angekommen. Nachdem sie jahrelang ihre Hochzeit in der Hoffnung auf eine Rückkehr ihrer verschwundenen Mutter verschob, muss sie nun ihr Leben neu sortieren. Zu viel scheint verloren, ein Neustart gelingt nur durch die komplette Auslöschung des Selbst.

Verloren ist auch Chief Garvey, dessen Wahrnehmung immer mehr an Jack aus LOST erinnert, die Paradefigur von Damon Lindelof. Im Unterschied zu Megs Verlobtem kann er nicht abschließen, sondern verfällt immer mehr seinen mysteriösen Träumen, die uns erkenntnisreiche Einblicke in seine Psyche offenbaren. Ebenso wie der Arzt der Insel leidet der schicke Führungsmann unter Alkoholismus, einem Vaterkomplex und Wahnvorstellungen, die seine wachsende Paranoia befeuern. Nicht nur, dass scheinbar niemand den mysteriösen Hundemörder kennt, sein Auto steht auch noch plötzlich eines Tages in Kevins Einfahrt. Ohne Registrierung. Mit totem Hund in der Ablage. Seine Untergebenen und die dauergestresste No-Bullshit-Bürgermeisterin äußern ihre Bedenken, doch Kevin fühlt sich bestätigt, als der Mann eines Tages vor seiner Tür erscheint.

Er sei allein und fühle sich einsam. Zu erkennen geben möchte er sich jedoch nicht. Kevin beginnt an sich selbst und der Realität zu zweifeln. Gespiegelt ist dieses innere Zerwürfnis durch eine wunderbare Szene im Polizeirevier. Scheinbar auf magische Weise verschwindet ein Bagel in einer Maschine, die er nur durch intensive Bearbeitung aufschrauben und entzaubern kann. Der Bagel ist auffindbar. Er ist real. Ob ihm das mit dem „Mysteryman“ gelingt? Seine Tochter nimmt zwar das mitgebrachte Sixpack entgegen („Why don’t you put that in the fridge for your dad?“) und fragt, um wen es sich handelte. Aime hingegen ignoriert den Mann komplett. Vielleicht sind Tyler Durden’sche Analysen zu früh angedacht, aber Garveys entgleisende Psyche und innerer Konflikt, ob berechtigt oder unberechtigt, stehen wunderbar für die anhaltende Schockstarre der Gesellschaft und die dünne Decke der Zivilisation.

Alles in allem bietet ‘Penguins One, Us Zero’ eine packende Stunde Fernsehen, die mehrere Handlungen auf intelligente Weise zusammenführt, Zusammenhänge offenbart und uns dennoch das Präsentierte hinterfragen lässt. Nebenhandlungen und beifällige Bemerkungen erinnern uns an die Vorgänge in der Außenwelt, während dennoch das Drama in Mapleton im Vordergrund steht. Ganz absagen müssen wir die Diskussion übernatürlicher Elemente jedoch nicht. Kevins Vater (Scott Glenn), der nach dem Departure den Verstand verlor, litt bereits vor dem 14. Oktober an Schizophrenie, die auch nun der Chief fürchtet. Bei seinem Besuch in der Nervenheilanstalt offenbart sich aber nicht nur eine zusätzliche Komponente in der mütterlichen Beziehung mit der Bürgermeisterin, sondern auch der Umstand, dass Opa Garvey über eine übernatürliche Verbindung zu einer Entität verfügt, womöglich sogar den Verschwundenen, die Kevin Hilfe schicken wird – in Form des Mysterymans.

Zitat der Folge: “Jesus, I never should’ve told you to watch the fucking Wire.”