Review: The Leftovers S01E03 - PewPewPew

Review: The Leftovers S01E03

15 Jul, 2014 · Sascha · Fernsehen,Review

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© HBO

Millionen Menschen verschwinden von jetzt auf gleich. Selbstverständlich hat dies unvorhersehbare Auswirkungen auf unsere Glaubensvorstellungen, die Organisationen und die Leute, die dahinter stehen. The Leftovers widmet die gesamte dritte Episode Pfarrer Matthew Jamison. Das Ergebnis? Ein kleines Meisterwerk.

In den ersten beiden Folgen von The Leftovers wurde der Zuschauer mit einer neuen Welt konfrontiert, bevölkert mit obskuren Kettenrauchern, die ein Schweigegelübde abgelegt haben, und angeblich magischen Wunderheilern. Da diese Gruppierungen noch etwas Zeit brauchen und ausgearbeitet werden müssen, ist es zu Beginn dieser Serie doch zunächst viel interessanter die Frage zu erörtern, was genau mit den alten Religionen in den drei Jahren nach dem Departure passierte und wie sie mit dem Fehlen der Antworten umgehen – oder ob sie womöglich das Verschwinden für Gottes Werk erklären und die Situation zu ihrem Vorteil ausnutzen.

Matthew Jamison, Pfarrer der episkopalen Kirche Mapletons, tut das exakte Gegenteil. Am 14. Oktober vor drei Jahren verlor er nicht nur seinen festen Glauben an Gott, sondern auch seine Frau (Janel Moloney) in einem Autounfall. Seither befindet sie sich in einem komatösen Zustand, der ständige Pflege beansprucht. Der Unfall ist nicht selbstverschuldet. Der Fahrer, ein korrupter Richter, verschwand mit dem Rest der 140 Millionen und schickte Matt auf den Weg des Schmerzes. Er sollte sein erstes Opfer werden.

Drei Jahre später treffen wir ihn bei einer Messe in seiner Kirche wieder, nachdem wir ihn bisher in nur zwei kleinen Cameos beim Verteilen von diffamierenden Flugblättchen sahen. Er erzählt die Geschichte eines kleinen Jungen, der neidisch auf seine kleine Schwester wurde und kurz darauf an Leukämie erkrankte. Der kleine Junge wusste nicht, wie er sich entscheiden soll. Ist er wütend und sieht er in seiner Krebserkrankung die Bestrafung Gottes? Oder ist er dankbar für den Leidensweg, der ihn zur Erkenntnis führte. Wie auch immer, die Erkrankung hat ihn gravierend verändert. Matts Kindheitsgeschichte steht für den zentralen Konflikt in The Leftovers aus mystifizierender Religiosität und brutalem Existenzialismus. Wie entscheidet sich die Gesellschaft nach dem Departure?

Rund drei Jahrzehnte später ist er, obwohl er Gott auf den Weg der Erleuchtung folgte, auf seiner Suche nicht vorangekommen. Dazu ist seine Kirche dem Departure leerer denn je. Die krasse Reaktion auf neue Bewegungen des religiösen Extremismus in der letzte Episode steht im krassen Gegensatz zum Schicksal der traditionellen Glaubensrichtungen, die mit der anderen Reaktion, dem Atheismus, zu kämpfen haben. Die Menschen bleiben zu Hause, nur noch wenige finden Weg in das Haus Gottes. So lässt ein Vater seine Tochter gegen den Willen seiner Frau heimlich taufen. Matt will kein Geld für den Dienst, der Rückkehr der Mutter in die Kongregation sei ihm dagegen genug. Die Hoffnung zerstört der Vater schnell, stattdessen bietet er ihm schmutzige Details über einen ehemaligen Arbeitskollegen an, die Matt gerne annimmt, denn es handelt sich um einen der Verschwundenen.

In seinen kleinen Auftritten sahen wir Matt nämlich bisher lediglich beim Verteilen der Flugblättchen, die die Verschwundenen diskreditieren. Es kann sich bei dem 14. Oktober nicht um die biblische Entrückung handeln, schließlich verschwanden nicht nur engelsgleiche Babys von Rücksitzen, sondern auch Schwerverbrecher aus ihren Zellen. Für ihn ist all dies ein Test. Und er will die Menschen überzeugen, dass er richtig liegt. Die Reaktion kriegt er prompt. Noch während seiner Predigt im Prolog stürmt ein Mann die Kirche, schlägt ihn zusammen und stopft ihm eins der Flugblätter in den Mund. Im Krankenhaus trifft er kurz auf Chief Garvey (Justin Theroux), dessen Rolle in der Folge auf einen Cameo reduziert wurde. Die noch wackelige Nebenhandlung um Wunderheiler Wayne oder die nervigen Teenies bleiben ganz fern. Das Drama findet hier seine maximale Intensität.

Matts Probleme enden jedoch nicht hier. Seit Wochen ignoriert er Anrufe der örtlichen Bank. Binnen 24 Stunden muss er 135,000 Dollar auftreiben um seine Kirche zu retten. In seiner Not wendet er sich an seine Schwester, bei der es sich um – Überraschung (oder auch nicht, immerhin hatten sie sich in der letzten Folge kurz freundlich geküsst) – Nora Durst (Carrie Coon) handelt. Ihr Verhältnis ist schwierig, doch sie ist gewillt ihm zu helfen. (Wahrscheinlich nicht zum ersten Mal, seine Suche nach Details aus dem Leben der Verschwundenen hat wohl auch mal zu seiner Schwester geführt, die dies beruflich betreibt.) Der Deal hat eine Bedingung: Matt muss mit seinen Flugblättern aufhören, was er jedoch kategorisch ablehnt. Es handle sich um einen Test. Seine Schwester weist ihn auf die bittere Wahrheit hin: Wenn es ein Test ist, versagt er selbst. Matt weiß dies, sieht seinen Stolz jedoch verletzt und gibt ein verletzendes Geheimnis preis: Noras Mann hatte eine Affäre mit einer Lehrerin ihrer Kinder.

Das Ende des Tages bringt ihn nach Hause zu seiner Frau und ihrer Pflegerin, die ebenfalls seit Wochen auf ihre Bezahlung wartet. In der emotionalsten Szene bisher badet Matt zaghaft seine Frau und weint sich dann zu Max Richters klagenden Streichern in den Schlaf. „Help me“, fleht er Gott an und schaut auf Albrecht Dürers Gemälde Hiob auf dem Mist, das in seinem Schlafzimmer hängt und seit dem Departure wohl eine neue und ihm sicherlich nicht unbewusste Bedeutung gewonnen hat. Doch der Blick erinnert ihn an einen Gefallen von Kevin Garvey Sr. – die Verbindung der zwei ist bisher kaum beleuchtet, aber sie führt zu wohl nicht ganz legal vergrabenen 20,000 Dollar im Garten des Chiefs. Dort trifft er auch auf Laurie (die großartige Amy Brenneman), die entflohene Mutter, die trotz ihres neuen Lebens bei den Guilty Remnant nachts die Familie besucht. Es sind diese kleinen Momente, ganz ähnlich wie die TV-Werbung für große Pappabbilder der Verschwunden, die die Perrottas Vision so komplex, real und greifbar machen.

A real human being

Auf dem Heimweg sieht er, wie schon zuvor im Casino, Tauben über einer roten Ampel. Er kennt wohl den titelgebenden Witz um den Christ, der Gott anfleht, ihm zu helfen, aber scheinbar keine Hilfe bekommt. Als Pfarrer ist ihm die Bedeutung der Tauben als Symbol des heiligen Geistes nicht entgangen, weshalb er die Zeichen erkennt und sich auf den Weg an einen Roulette-Tisch macht und alles auf Rot setzt. Er gewinnt das notwendige Geld und muss sich auf dem Parkplatz gegen einen Dieb behaupten. Diese zweite Szene, in der wir Matts hässliche Seite in Form eines brutalen Übergriffes erleben, ist dabei jedoch nicht so schockierend oder unberechtigt wie die erste.

Auf dem Weg zur Bank findet ein erneuter Übergriff auf die Guilty Remnant statt. Beim Versuch zu helfen wird er selbst angegriffen und verliert das Bewusstsein. Er erlebt einen genial inszenierten Traum – zweifellos der Höhepunkt der Serie bisher – von Regisseur Keith Gordon, in dem er all die dunkelsten Momente seines Lebens wieder durchlaufen muss. Die Krebsdiagnose als Junge, das in Flammen stehende Haus der Eltern, der Autounfall am 14. Oktober. Seine Existenz ist seit jeher von einer alles dominierende Hilflosigkeit geplagt, unterstrichen durch den starren Feuerwehrmann, die ihn verständlicherweise in die Arme Gottes trieb.

Er findet sich in seinem Bett wieder und seine Hände gebären Flammen, die um sich greifen, bis er komplett von ihnen bedeckt ist. Nach Kevin ist nun Matt damit bereits die zweite Figur, die aus Flammen erwacht. Er wacht im Krankenhaus auf und eilt zur Bank. Doch er ist zu spät. Wie Jesus durchlitt er zunächst den Betrug, wurde dann angegriffen und gegeißelt, um drei Tage später wieder aufzustehen. Dann der Twist: Der Käufer der Kirche die GR um Donna (Ann Dowd), die Matt einen triumphalen Blick zuwirft, der auf eine gemeinsame Geschichte hindeutet. Für Matt könnte dies der absolute Tiefpunkt sein, doch der Moment bietet auch das Potential für die Erlösung. Das Thema des Loslassens ist schließlich die dominierende Thematik von Lindelofs Figuren. Es ist ein erneuter Test. Wie entscheidet sich der Junge? Seine stoische Natur lässt bittere Zeiten erahnen. Für den Zuschauer bleibt der interessante Konflikt wohl erhalten.

Two Boats and a Helicopter ist die bestimmende Folge der Serie. Das ungewohnt schnelle Tempo der zweiten Hälfte der Folge lässt ironischerweise die Atmosphäre dichter, das Drama greifbarer werden. Wer sich jetzt noch nicht angesprochen fühlt, wird der Serie wohl nicht viel abgewinnen können. Damon Lindelof folgt der strukturellen Ästhetik aus Lost mit großem Erfolg und gestaltet zusammen mit seiner Co-Autorin Jacqueline Hoyt ein erneutes „Walkabout“, indem er sich mit einer bisherigen Randfigur beschäftigt, ihr komplexes Innenleben ausleuchtet und ihr Schicksal mit der Erkundung der zentralen Thematik verknüpft. Das Ergebnis ist ein kleines Meisterwerk, das fast ohne Kontext auskommt und mit nur minimal mehr Exposition auch als eigenständiger Kurzfilm funktionieren könnte.

Christopher Eccleston überzeugt in dieser Episode völlig. Sein Casting ist perfekt, seine ebenso getriebene als auch stoische Darstellung des Pfarrers ist der Anker dieser Folge und er verleiht dem zentralen Wunsch nach Antworten ein meisterhafte Gravität. Wenn er weint, weinen wir als Zuschauer. Freuen wir uns, ist es auf Grund des herzerwärmendsten Lachens der letzten Fernsehjahre. Seine Wut kennen wir, ebenso wie seine dunklen, hässlichen Momente, wenn wir uns getroffen fühlen und wild um uns schlagen, gerne auch verbal, in der Hoffnung einem anderen den Schmerz zuzufügen, den wir verspüren. Es trifft, wie so oft, die, die uns am Nächsten stehen, die es am wenigstens verdienen. Wir kennen sie am besten, wir wissen, wie man ihnen weh tun kann. Matt Jamison ist nicht nur eine komplexe Serienfigur, dessen tiefe, emotionale Zerrüttung wir mitfühlen können, sondern Matt ist in seinem Leid ein Mensch wie jeder andere. Es geht in The Leftovers nicht um das Finden von Antworten, sondern um das Mitgefühl und Verständnis für die gravierendsten Probleme und schwersten Fragen unserer Existenz. Mehr Fernsehen geht nicht.

Zitat der Folge: “If it’s a test, then you are failing it.”