The Last Guardian bietet einige der größten und gleichzeitg auch frustrierendsten Momente, die ich je in einem Videospiel erlebt habe. Die Beziehung, die ich zu dem neuen Titel von Fumito Uedas Team Ico (bzw. später genDESIGN) entwickelte, erinnerte mich an eine kränkelnde Liebesbeziehung, in der beide Paare wirklich verzweifelt versuchen, zueinander zu finden, um am Ende doch festzustellen, dass es langfristig nichts wird – egal, wie aufregend, schön oder beeindruckend die gemeinsamen Momente miteinander sein können.
Der erste Eindruck ist jedoch der von Verwunderung. Die Trailer zu Project Ico bzw. The Last Guardian haben fast ein ganzes Jahrzehnt auf dem Buckel. Die ersten Minuten innerhalb der Welt von The Last Guardian wirken jedoch vertraut. Wenig hat sich von der ersten Vision verändert, lediglich die Grafik wirkt geupdatet, wie eine Remastered Version eines jahrealten Fiebertraums. In The Last Guardian spielt man einen namenlosen Jungen, der sich mit Hilfe eines Fabelwesens namens Trico durch eine große, umrandete Ruinenstadt nach oben navigieren muss, in der Hoffnung zu entkommen.
Die Beziehung, die der Spieler dabei zu Trico aufbaut, ist der selling point des Spiels. Es ist nicht unbedingt schwer, zu beschreiben oder zu erklären, wieso diese tierische Kreation durch Team Ico ein solcher Geniestreich ist. Sie aber wirklich vollends zu verstehen, verlangt eine eigene Spielerfahrung. Aber ich versuche es trotzdem.
Trico ist ein Fabelwesen, das sich jedoch aus mehreren offensichtlichen visuellen und verhaltensorientierten Inspirationen zusammensetzt. Es ist ungefähr so groß wie ein T-Rex, mit dem Gesicht eines Hundes, dem Körper einer Katze und den Flügeln eines Raben. Trico kann Blitze aus seinem Schwanz und seinen Hörnern schießen, große Sprünge absolvieren und sich mit seinen Krallen in den Fels bohren, um Wände zu erklimmen. Die große Attraktion ist jedoch das Verhalten von Trico, das nahezu perfekt inszeniert und animiert wurde. Mehrere Kritikerstimmen haben es bereits in ihren ersten Reviews angemerkt und es ist wahr, Trico verhält sich tatsächlich wie ein echtes, lebendiges Tier. Noch nie zuvor hatte ich eine solch reale Beziehung zu einem virtuellen Charakter aufgebaut. Vielleicht zu Ellie aus The Last of Us, aber ihre Unsichtbarkeit gegenüber Feinden brach oft meine Immersion. Dagegen lädt Trico mich förmlich ein in den ruhigen Minuten des Spiels mit ihm kurz zu rasten, in einer Pfütze zu tollen, ihn zu streicheln oder ein nur an einer Klippe in die Ferne zu starren.
Der große Clou in The Last Guardian ist die Symbiose von dem Jungen und Trico. Der Junge will nach Hause, Trico braucht Hilfe um nach oben zu gelangen. Beide helfen sich gegenseitig. Ich krieche durch kleine Löcher, um Tore für Trico zu öffnen und ich bringe ihm Fässer mit einer bläulichen Substanz, die er mit großem Gefallen in einem Ruck verschlingt. Dafür rettet mich Trico mehrfach vor einem tödlichen Fall in die Tiefe des Nests und springt dutzende Höhenmeter nach oben und über Schluchten, während ich mich auf seinem Körper festkralle. Die Beziehung ist in den ersten Stunden nahezu perfekt. The Last Guardian schafft es, dass ich mich um Trico sorge, aber auch Vertrauen in die virtuelle Figur stecke. Ich weiß, dass ich es nur mit Trico schaffe – und ab einem gewissen Punkt will ich es auch nur mit Trico schaffen. An mehreren Punkten muss ich ihn verlassen, um kurz auf eigene Faust die Gegend zu erkunden, und jedes Mal fürchte ich mich, dass das Spiel mich jetzt dazu zwingt, meine Freund zurückzulassen.
Die Schönheit des Designs der Spielfigur spiegelt sich auch in der sonstigen Welt wider. Erneut bewegen sich der Junge und sein treuer Gefährte durch eine verlassene, zerstörte, Jahrhunderte alte Ruinenstadt, die inzwischen mit Gras überwachsen ist. Wasser fällt aus Rissen im Fels hunderte Meter in die Tiefe, Bruchstücke von Mauern und Tempeln liegen verstreut auf meinen Wegen, wackelige Brücken verbinden Türme, die in den Himmel ragen. Die Spielfigur des Jungen dagegen ist charmant undefiniert gelassen. Seine lockere Tunika flattert im Wind, sein Gesicht ist relativ featurelos und in einem soften Animestil gehalten, der schön mit der harschen und entsättigten Spielwelt kontrastiert. Ein weiteres Highlight sind neben den authentischen Animationen Tricos auch die Bewegungsabläufe des Jungen. Wenn er rennt, stolpert er, jede einzelne Stufe einer Trippe wird korrekt betreten, seine Ragdoll-Animationen sind authentisch, ebenso wie seine Kletter- und Sprungaktionen. Wenn sich The Last Guardian auf seinen Plattformer-Aspekt konzentriert, ist das Spiel ein wahrer Traum. Es trifft Erwartungen, die seit einem Jahrzehnt hoffnungsvoll gehegt wurden. Eigentlich ist es ein Wunder.
Leider ist dies aber nur ein Teil des Spiels. So schön die Beziehung zu Trico auch sein kann, so bitter und frustriert lässt mich das Tier zurück, wenn es nicht auf mich hört. Tricos ist nicht schwerhörig, das Zögern ist Teil des Designs. Zunächst ist das charmant und erinnert an das Wesen einer Katze. Jeder Besitzer kennt das: Man ruft die Katze – manchmal hört sie und kommt, manchmal schaut sie einen verwundert an, ein anderes Mal setzt sie sich hin und leckt sich am Fell. Verbunden mit dem phänomenalen Sounddesign wirkt Trico wie ein lebendiges Wesen, es ist ein schieres Wunderwerk der Technik.
Problematisch wird es jedoch, wenn ich nicht nur nach Trico in meiner Fantasiesprache rufen muss, sondern wenn ich Trico komplexere Handlungsanweisungen geben muss. Springen, Krabbeln, Wandern, Klettern, Kriechen, Tauchen, Schwimmen. Trico muss all das für mich erledigen ohne dass ich ihn jemals wirklich steuere, sondern ihm nur krude Kommandos gebe. Das funktioniert in den ersten Stunden problemlos und wirkt traumhaft. Sobald die Puzzles und Leveldesigns jedoch komplexer werden, wird aus der Liebe ein wahrer Albtraum. Trico hört nicht auf mich, manchmal über Minuten hinweg; selbst nachdem ich ihn gefüttert habe. Irgendwann spammt man verrückt auf dem Controller Kommandos. Manchmal klappt es, an anderen Stelle gebe ich auf und warte, bis Trico irgendwann selbst irgendwas macht. Das kann teilweise lange dauern. Es gab auch Momente, in denen Trico dann in die falsche Richtung gelaufen ist. In diesen Momenten wirkt Trico weniger wie ein Lebewesen und viel mehr als ein Glücksspielautomat. Ich drücke, warte, hoffe – und gewinne oder verliere. Oft verliere ich die Hoffnung. Besonders wenn ich eigentlich schnell weiß, wohin mich die Reise führt, aber Tricos Hilfe brauche, versagt meine Geduld. Das Tier wartet, schaut, riecht, schnuppert und wirkt lebendig, tut aber nicht, was ich will. Das ist charmant – und nervig.
Insbesondere in den dichten Tunneln und Tempeln wird Tricos großer Körper zum Hindernis. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich kann kaum etwas erkennen. Er blockiert mir meine Sicht. Wenn ich mich auf ihm befinde oder in dunklen Gassen an seinem Fell hänge, ist mein Bildschirm manchmal für mehrere Sekunden schwarz. Es ist höchst ironisch, dass ein Spiel, das mehr als ein Jahrzehnt lang in der Entwicklung war, wahrscheinlich noch ein bisschen mehr Entwicklungszeit gebraucht hätte. Das zeigt auch der Day-One Patch, den das Team direkt veröffentlichte.
Allgemein ist die Kamera ein riesiges Problem, das Team Ico scheinbar bekannt war. Trotzdem findet man keine bessere Lösung. Ständig bleibt man in der kleinen Perspektive des Jungen hängen, was zwa mitunter immersiv ist, aber mit der Zeit auch unglaublich nervig ist. Wie gerne ich manchmal rauszoomen und das Big Picture genießen würde. Aber es geht nicht nur um Genuss, an wesentlichen Stellen des Spiels fehlt mir schlicht die Orientierung. Die Spielwelt sieht sehr imposant aus. Man sieht Gebiete, zu denen man nie gehen wird. Das verleiht dem Spiel ein Gefühl von Größe und Weite, kann aber auch verwirren. Dabei ist der lineare Spielweg zu finden, oftmals mit großen Problemen. Es ist oft schlicht nicht ersichtlich, wo Trico und ich hingehen sollen, bis das Tier einen großen Sprung wagt, nachdem ich wie ein Verrückter auf dem Controller Knöpfe gedrückt habe.
All das raubt dem Spiel und dem Spieler viel Energie und guten Willen. Aber vor allem raubt es dem schon ohnehin nicht existenten Pacing den letzten Biss. Ähnlich wie alle Spiele von Ueda ist die Story spärlich erzählt, es gibt wenig konkrete Anhaltspunkte und der Spieler muss selbst Verknüpfungen machen. Das stört wenig, führt aber dazu, dass das viel zu lange Spiel bis kurz vor Schluss nur sehr selten an einem Spannungsbogen interessiert ist. Und wenn ich verspüre, dass jetzt eigentlich ein schönes Event oder ein eindrucksvoller Moment auf mich wartet, versperrt mir entweder die Kamera die Sicht oder Trico will einfach nicht auf mich hören. Mein Weg, den ich eigentlich oft schneller beschreiten könnte, wird mir durch das Spiel verlangsamt. Selten verlangt mir ein Spiel eine physische Reaktion ab, wütend werde ich nie, aber wenn Trico zum fünften Mal hinabtaucht und nicht durch einen Tunnel schwimmt, habe ich verärgert den Controller zur Seite gelegt und erst einen Tag später weitergespielt.
Trotzdem bleiben am Ende von The Last Guardian viele positive Gefühle haften. Allen voran die unglaubliche Beziehung, die, wenn alles klappt, schlicht einmalig ist. Unterstützt werden Kämpfe mit den Schergen des Nests oder spielerische Momente mit einem großartigen Score. Ein häufiger Vergleich von Uedas Spielen mit Auteurfilmen hinkt auch beim dritten Outing von Team Ico nicht. The Last Guardian erfreut, verärgert, verlangt, dass man sich mit dem Spiel auseinandersetzt. Aber am Ende bleibt die Faszination dafür, was hier geleistet wurde und was mit dem Medium überhaupt möglich ist.