'The Master' Review - PewPewPew - PewPewPew

‘The Master’ Review

21 Jan, 2013 · Sascha · Featured,Film,Review

the master review

Vereinigte Staaten, 2012
Regie: Paul Thomas Anderson
Drehbuch: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams
Länge: 137 Minuten
Rating: ★★★★★

“You have wandered off the proper path, haven’t you?”

Paul Thomas Anderson, unter seinen Verehrern häufig auch schlicht PTA genannt, ist einer der letzten großen Autorenfilmer Hollywoods. Mit seiner recht kurzen Filmographie hat er bereits eine tiefe Kerbe in die Filmlandschaft geschlagen und beschäftigt Kritiker wie Fans mit seinen kontroversen und fesselnden Filmen. Wenn man der Berichterstattung im Vorfeld trauen durfte, sollte er mit ‘The Master’ alledem die Krone aufsetzen. Was hätte dieser Film nicht alles sein sollen: Magnum Opus von PTAs Karriere, die große Abhandlung über L. Ron Hubbard, eine Abrechnung mit Scientology, der umstrittenen Religion bzw. Sekte (je nachdem, wen man fragt), die besonders in Hollywood in der anfälligen Entertainmentindustrie um sich greift. Und dann überrascht Anderson alle, und wahrscheinlich auch sich selbst, mit einem unzugänglichen, aber tiefen Film über eine Männerfreundschaft zwischen Macht, Homoerotik und Alkohol.

Der zweite Weltkrieg endet und Freddie Quell (Joaquin Phoenix) muss ins Leben zurückkehren. Eigentlich steht ihm Tür und Tor offen, doch er hofft die Bilder des Krieges im Alkohol, dem er bereits während dem Krieges erlegen ist, zu ertränken. Er wird Photograph, trinkt, schläft mit Frauen, trinkt mehr, verliert seinen Job, mischt sich seinen eigenen Alkohol zusammen, stolpert von Job zu Job, von Land zu Land und endet betrunken auf einer Schiffsparty im Hafen San Franciscos. Das Schiff verlässt den Hafen und Freddie ist ein blinder, aber willkommener Passagier des “Meisters”, Lancaster Dodd, (Philip Seymour Hoffman) und den Anhängern seiner Sache (engl. “The Cause”). Dieser ist vollkommen fasziniert von Freddie, dem animalischen Rumtreiber, der einen perfekten Kandidaten darstellt, um eine Transformation zu durchlaufen und das Menschenbild des Meisters zu bestätigen.

Weil ‘The Master’ eben vornehmlich von seinen Figuren vorangetrieben wird, ist es nicht überraschend, dass am meisten die Darbietungen der Schauspieler hervorstechen. Insbesondere an Joaquin Phoenix geht in diesem Film nichts vorbei, für dessen Figur er sich völlig verwandelt hat. Wenn man Rollen von ihm vor 8-10 Jahren in Betracht zieht und ihn hier sieht, sind das zwei komplett verschiedene Menschen und auch Schauspieler. Seine Mimik und Gestik sind völlig sonderbar, teilweise befremdlich, aber stets faszinierend. Er verzieht argwöhnisch den Mund, murmelt betrunken seine Sätze komisch heraus, seine Haltung ist triebhaft gekrümmt und er starrt Frauen mit der Intensität eines Löwen auf der Jagd an.

Lancester und Freddie bilden die zwei Extremen der menschlichen Natur. Freddie, der sich seinen animalischen Zügen voll hingibt, und Dodd, der stets versucht diese zu unterdrücken und für ein von der Natur losgelösten Menschbild kämpft. Hoffman schafft es seiner Figur stets die nötige Autorität zu verleihen, obgleich man in Interaktionen mit anderen Figuren – insbesondere hier sei die großartige Diskussion mit einem Kritiker (Christopher Evan Welch) erwähnt – immer merkt, dass der Mann hinter seinen Büchern von Selbstzweifel und Orentierungslosigkeit geplagt ist. Wäre da nicht seine Frau, gespielt von der großartigen Amy Adams, die ihm zur Hand geht und ihm die Richtung zeigt, wäre er womöglich genauso verloren wie Freddie, mit dem er eine Liebe für den Alkohol teilt. Adams’ beeindruckende Präsenz erreicht die Schauspielerin durch ganz wenige Dialoge und ihren eindringlichen Blick und sie empfiehlt sich mit ihrer Darstellung, genau wie die zwei Männer, für einen Oscar.

Andersons Regie ist gewohnt souverän, er erzählt in nur einer einzigen Einstellung so viel, sodass der Vergleich mit dem Meister des Kinos Orson Welles in Ben Afflecks Golden Globes Dankesrede keineswegs übertrieben ist. In Kombination mit den Bildern von Mihai Malaimare Jr. und der Projektion des Films in 70mm ergibt sich ein für mich unvergessliches Kinoerlebnis, ganz abseits der Geschichte. Anderson eröffnet den Film noch während des Krieges, verzichtet aber auf Kriegsschauplätze und zeigt stattdessen das einöde Leben der Soldaten während der Reisen. Es ist schwer zu beschreiben, aber Andersons Blick auf das tosende Meer hat etwas Neues, etwas Frisches. So scharf und blau habe ich das Meer im Kino noch nicht gesehen. So verhält es sich mit fast allen Einstellungen des Films; insbesondere bei zwei Szenen in der Wüste, die durch ihre beeindruckenden Bilder und Regie nachwirken.

Inhaltlich ist ‘The Master’ schwer zu greifen. In der US-Szene streitet man sich immer noch darüber, ob und, wenn ja, welche Bedeutung ‘The Master’ hat. Der Film hangelt sich parallel zum Leben der Charaktere von Szene zu Szene, ohne, dass es ein genaues Ziel gibt. Ob dies von Anderson gewollt ist, oder nicht, daran scheiden sich Interpretationen. Dass Hoffmans Charakter definitiv auf Hubbard basiert, ist ohne Zweifel klar, aber der hauptsächliche Fokus liegt auf Quell und Dodd selbst. Es ist ihre Männerfreundschaft, die teilweise stark homoerotische Untertöne anschlägt, zum Beispiel als Freddie und Dodd ihre Versöhnung auf dem Boden ringend feiern oder Dodd ein trauriges Lied über die verlorene Freundschaft (“A slow boat to China” – weg, wo Freddie nicht folgen kann?) anstimmt. Und Amy Adams ist ja auch noch irgendwo zwischen Macht und Sexualität dabei, die die eigentliche Oberhand hat, über Dodd verfügt und ihm sagt, was und wie er es zu befehligen hat und beweist, dass hinter einem mächtigen Mann eine noch stärkere Frau steht.

Ebenso wird kritisiert, dass Freddie als Figur nicht wächst, was höchst umstritten und ich für falsch halte. Quell lässt sich nicht zähmen, er wird gebrochen von Dodd, keine Frage, aber er kann ihn schlussendlich nicht für seine Sache gewinnen. Freddie wird immer der Rumtreiber bleiben, der er ist, aber Dodd versah ihn mit einem bestimmten Werkzeug, mit dem er jetzt seine Umfeld beeinflussen kann und ihm nicht mehr ausgesetzt ist (Sexszene mit der Frau aus der Bar). Freddie ist nicht mehr ausgeliefert und kann mit seinen Traumata besser umgehen und beginnen, sie zu verarbeiten.

Paul Thomas Andersons sechster Film ist ebenso anziehend wie befremdlich. Man verliert sich in den Bildern und der Geschichte, die interpretationsfreudlich und zutiefst bereichernd ist, auch wenn sie nur schwer zugänglich ist. Handfeste Aussagen findet man schwer und vielleicht ist das beim Thema Religion auch keine so schlechte Sache.