In der vergangenen Woche habe ich mich für zwei Podcasts mit meinen Ängsten beschäftigt. Einmal ging es um Jordan Peeles neuen Film NOPE, in dem es unmissverständlich bereits auf dem Poster um die Idee von Außerirdischen, welche in mir schon immer eine gleichermaßen große Faszination wie Furcht hervorriefen. Dazu ging es in einem anderen Podcast um die frühen Filme von M. Night Shyamalan, als er ganz ähnlich wie Peele als neues Mainstreamhorrortalent gehandelt wurde. Seine furchteinflößenden und verstörenden Bilder, als er noch nicht von Zynismus in die Submission geprügelt war, sind mir seit 20 Jahren stetige Begleiter.
Videospiele versuchen diese Ängste auch hervorzurufen. Durch ihre Freiheiten für die Spieler*innen, im Unterschied zum Film, versprechen Videospiele auf dem Papier eine noch größere Immersion in der Auseinandersetzung mit dem, was uns Angst macht. Sicherlich enttäuschen auch manche Einträge durch ihre Linearität und erinnern mit ihren entlang des Weges versteckten Jumpscares an eine Achterbahn, doch die Unendlichkeiten der Videospielwelten lassen mit ihren immersiven Spielmechanismen jeden beliebigen Alptraum erlebbar werden – immer und immer wieder. Das ist der Reiz an den Horror-Spielen, die besonders im letzten Jahrzehnt durch die vielfältigen Möglichkeiten für Indie-Entwickler singuläre Ängste zu Publikumserfolgen haben werden lassen.
Ich habe mir mal Gedanken gemacht, welche von diesen Spielen ich am spaßigsten finde. Mein Geschmack deckt sich selten mit den mainstreamigen Haltungen, weshalb Soma oder Amnesia nicht auf dieser Liste zu finden sind, sondern Spiele mit Szenarien, die mich viel mehr in meinem Mark treffen als irgendwelche Monster das können.
Adrift
Adrift greift eine Urangst von uns auf: Das Alleinsein. Von der Gruppe und den sicheren Strukturen des Stammes getrennt, sind wir der indifferenten Härte der Natur ausgeliefert. Adrift, also treibend, adaptiert diese Ängste für die Zukunft und schafft auch da, was schon Alfonso Cuaron mit Gravity gelang: einen nervenaufreibenden Überlebensthriller im Weltall.
Im Spiel müssen wir nämlich als einzelne Überlebende eines Raumstationunglücks mit Leck in unserem Anzug ums Überleben kämpfen. Also buchstäblich von Sauerstofftank zu Sauerstofftank hangeln. Oft unterschätzt man die Schwierigkeiten der Umgebung oder die Störung und schon beginnt das Piepen des Warnsystems. Und selbst wenn man gerade nicht Gefahr läuft zu ersticken, muss man tausenden kleinen, superschnellen Splittern ausweichen und am besten nicht nach unten auf die Erde schauen. Der Blick mag nämlich gleichermaßen verzaubern wie einen erschaudern lassen, bleiben doch jetzt nur noch wenige Optionen für eine glimpfliche Rückkehr nach Hause, während viele andere Szenarien einen schmerzvollen Tod als Folge hätten.
Ich habe über Adrift zum Release damals ausführlich geschrieben. Es ist kein perfektes Spiel, doch viele Momente bleiben mir bis heute stetig in Erinnerung. Das ist oft mehr wert.
Inside
Auch über Playdeads Inside, den glorreichen spirituellen Nachfolger auf Limbo, habe ich ausführlich berichtet. Vieles an dem Spiel ist creepy auf dem Papier: Die Vollendung des Überwachungsstaats aus Orwells schlimmsten Befürchtungen, die postapokalyptische Spielwelt nach dem Klimakollaps, die unheimlich riesigen Bauten, deren Schächte ein unwahrhaftiges Vordringen in ungeahnte Tiefen zulassen.
Über weite Teile präsentiert Inside eine monochromatische Höllenatmosphäre, aus der man einfach nur noch ausbrechen will. Und dann – trotz schreckenerregender Transformation – gelingt dies den Spieler*innen. Oder zumindest: Das Spiel suggeriert uns das. Und zunächst fühlt sich das ausbrechende Chaos gut und berechtigt an, überfällig nach den oppressiven Touren, auf die uns die Entwickler schickten. Doch wer genau aufpasst, kann in den zerstörerischen Bildern einige Hinweise entdecken, die eine viel niederschmetternde Realität andeuten, als die visuelle Wucht unserer entfesselten Macht gerade vermuten lässt. Und so wird die Hoffnung auf Veränderung durch die Revolution am Ende nur ein erweiterter Arm des Systems, ein performatives Druckablassen, um den Fortbestand zu sichern. Diese letzten 5 Minuten bleiben ewig bei mir.
Carrion is so much fun, such a great horror game. The power fantasy lasts long enough to never become boring but at its core it is a game about oppression, the ultimate human desire of freedom and how exchange in power structures is an inherently violent act. Oh yeah, and this: pic.twitter.com/IQVMpXAiLx
— cowboy reeft (@reeft) August 23, 2020
Carrion
Wenn man an Horrorspiele denkt, dann denkt man an Monster und Schreckensmomente und Blut und dergleichen. Doch wie so häufig in Erzählungen ist die Identität des Monsters nur eine Frage der Perspektive. Und so spielt man in Carrion zwar ein Monster, welches aus vielen Zähnen und Tentakeln und roten Gedärmen besteht, die sich blitzartig durch die Gänge eines geheimen Militärbunkers schlängeln können. Aber dennoch versteht man den Wunsch nach Freiheit und sympathisiert mit dem Vieh, welches auf seinem Weg nach oben hunderte Wissenschaftler und Soldaten erledigen muss.
Carrion ist ein 2D-Pixel-Sidescroller, welcher mit Metroidvania-Elementen die wenigen Mechanismen spaßig einzusetzen weiß. Carrion ist aber auch einfach ein riesiger Spaß. Die Personen schreien und winseln um ihr Leben und als Monster fühlt man sich mächtig, nachdem man zuvor seiner Freiheit beraubt wurde und Experimente überstehen musste. Im Kern ist es ein Spiel über Oppression und es zeigt gekonnt, wie Veränderungen in Machtstrukturen in uns innewohnende Gewaltakte hervorrufen, wenn friedenssichernde Maßnahmen wie Verständigung nicht Konflikte beilegen können. Und damit eine Warnung an uns alle.
DayZ
Es sei jedem verziehen, der sich beim Spielen von DayZ an Thomas Hobbes erinnert fühlt. Homo homini lupus, Krieg aller gegen alle, friendly? Für viele Zombie-Fans war der Arma II-Mod damals trotz unzähliger Bugs und fehlender Features die Vollendung einer langgehegten Fantasie. Nämlich einmal selbst wie Rick Grimes in The Walking Dead in einer zerfallenden Zivilisation ums Überleben kämpfen zu können. Das Spiel hatte aber keine Geschichte, sondern versprach lediglich den Kampf um Ressourcen auf einem riesigen Sandbox-Areal.
Die Zombies waren aber dann das kleinste Problem. Das lag sicherlich an den Bugs wie fehlerhaften Routen und sonstigen Anfängerfehlern eines jungen Entwicklerteams sowie einer kränkelnden Engine. Doch die größte Gefahr wären selbst in einem perfekt laufenden Spiel die anderen Spieler*innen. Prinzipiell lässt sich ja vermuten, dass die Verwandlung von Menschen in Zombies zu einem kollektiven Paradigmenwechsel führt. Durch die Othernes der Zombies müssten die überlebenden Personen sich zusammenschließen, um gemeinsam den Fortbestand der Zivilisation und zumindest der nächsten Generation zu sichern.
Doch stattdessen machten Spieler*innen Jagd aufeinander, schießen bei Sicht, ohne vorher zu fragen, entführen andere und machen böse Spielchen mit ihnen, schleußen sich in Gruppen ein, nur um sie später auszurauben und zu betrügen. So schön die Sparziergänge und Wandertouren mit Freunden in der Spielewelt Chernarus auch sein können; sobald die Kugeln fliegen, wirft uns DayZ mit voller Wucht zurück in den Naturzustand. Nicht, weil die Entwickler das so geplant haben. Nicht, weil die gerade eine Story das so verlangt. Sondern weil eine Person genau wie wir vor einem Bildschirm sich dazu bewusst entscheidet. Nichts könnte furchteinflößender sein.
Finished Everybody's Gone To The Rapture, only six years late. A beautiful game, it offers an exquisitely immersive experience. The being's movement come alive in an incredibly successful and often creepy way. The ending underwhelms slightly, a better version just out of reach. pic.twitter.com/a25qrWyFLk
— cowboy reeft (@reeft) October 10, 2021
Everybody’s Gone To The Rapture
Wenn ich gerade von Wandertouren rede: In Everybody’s Gone To The Rapture sind alle plötzlich weg. Niemand weiß zunächst warum. War es vielleicht das Book of dead, welche alle verschwinden ließ oder handelt es sich um eine Art The Leftovers-Szenario? Nach und nach wird klar, was genau geschah. Das möchte ich hier nicht spoilern, denn neben einer wunderschönen und äußerst realistischen Spielewelt, die man gezwungen ist im Schneckentempo zu erkunden, bietet das Spiel nicht wirklich mehr.
Doch es ist kein Spoiler zu verraten, dass man von Anfang an von einem mysteriösen Licht begleitet wird, welches die Welt eigenartig erkundet und sich mit einem scheinbar eigenmütigen Wille durch sie bewegt, aber immer wieder Faszination an uns findet und näherkommt. Langsam aber sicher verbindet man das Verschwinden der Menschen mit dem Licht, welches auf eine Lovecraft’sche Weise unerklärlich bleiben wird, genauso wie seine unergründliche Motivation. Und so hüpft das Licht vor uns zwar mit einer Disney-haften Leichtigkeit wie im Zeichentrick unschuldig durch die Welt, doch die Erlebnisberichte und oft adhoc verlassende Räume und Situationen der Verschwundenen lassen eine dunkle Wahrheit vermuten.
Everybody’s Gone To The Rapture ist ein Paradebeispiel für kosmischen Horror, der die Unergründlichkeit und Indifferenz des Universums mit unserer zerbrechlichen Existenz in aller Schönheit der Natur konfrontiert.
Dieser Beitrag entstand in Kooperation.