Das ist eine Review der 100. Ausgabe von Robert Kirkmans ‘The Walking Dead’. Weiterlesen sollte man nur, wenn man selbige bereits gelesen hat, denn die Review enthält Spoiler für Geschichte und Charaktere.
“You see, Rick. Whatever you do…no matter fucking what…you do not mess with the new world order. The new world order is this, and it’s very simple, so even if you’re fucking stupid…which you may very well be…you can understand it. Ready? Here goes…pay attention.
Give me your shit or I will kill you.”
Wann auch immer ein Comic einen Meilenstein erreicht, erwartet Fans und Sammler ein Ereignis sondergleichen. Insbesondere bei einem Comic, der so zentral in der Popkultur und Medienwelt verankert ist. Der Medienhype, der The Walking Dead dank Zombiekult, TV-Serie und Fancraze umgibt, nahm unglaubliche Züge an. Dazu gab es jeglich erdenklichen Comic-Con-Quatsch, 8 Variant-Cover und eine Serie will ja auch noch davon profitieren. Dass man fast 400.000 Ausgaben verkauft hat, ist ein Meilenstein und eine beachtliche Leistung für Charlie Adlard und Robert Kirkman. Als schlichter Fan jedoch wünscht man sich, dass die Ausgabe auf eigenen Beinen stehen kann und der Comic seine Qualität beibehält. Zu viele Comic-Autoren verloren mit dem Erfolg den Fokus auf das Wesentliche.
Schaffen tut das Kirkman dieses Mal nur bedingt. Vieles in #100 wirkt gezwungen und überflüssig. In meiner Review der bisherigen Ausgaben des Story-Arcs befürchtete ich, dass Alexandria Opfer einer Attacke wird. Und während das noch immer eine Möglichkeit ist, fand der Großteil der Folge abseits der Siedlung statt. Rick und Co verfahren sich und müssen über Nacht ohne Schutz rasten. Dabei werden sie von Negan und seinen Schergen angegriffen. Interessanterweise wird zuvor noch von einem Paul gesprochen, der Mitglied von Negans Gruppe ist. Könnte es sich hierbei insgeheim um Paul ‘Jesus’ Monroe handeln, dem Überlebenskünstler, der Rick zur Hilltop führte? Spielt er ein doppeltes Spiel? Es wäre ein harter Schlag in die Magengrube der Fans, die Jesus schnell in ihre Herzen geschlossen haben.
Eingang: Negan. Dieser stellt sich nicht direkt als Anführer eines Kults heraus, wie aus den vorherigen Ausgaben angenommen werden konnte, sondern als erbarmungsloses Arschloch sondergleichen. Er ist der Herrscher dieser neuen Welt und niemand anderes. Die treue Gefährtin an seiner Seite: Lucille, ein mit Stracheldraht umwickelter Baseballschläger. (Ich dachte zwar, dass Lucille eine Kettensäge wird, aber ich lag immerhin damit richtig, dass es eine Waffe wird. Ha!) Den benutzt er demonstrativ an Glenn, dessen letztes Stündchen leider geschlagen hat. Das ist ärgerlich. Dass Ricks Provokation und schlechter Umgang mit Negans Gruppe gravierende Konsequenzen für seine Leute haben würde, wurde von Ausgabe zu Ausgabe unausweichlich, aber Glenns Tod und Negans Eintritt in die Storyline wirken so unglaublich gezwungen. Es ist die 100. Ausgabe, die muss daher nicht nur in Publicity und Variant-Cover neue Ausmaße annehmen, sondern auch inhaltliche und deshalb muss zu mindest ein großer Charakter sterben.
Nun trifft es Glenn, der ja unbedingt auf die Reise mit wollte um in der Hilltop sicherer zu sein. Kirkman wählt wohl Glenn um dessen Entscheidung eine gewisse Ironie oder Tragik beizufügen und um einen Charakter sterben zu lassen, der seit der 2. Ausgabe dabei ist. Sein Wechsel in Band 100 soll deutlich und schmerzvoll sein für den Leser. Doch er wirkt nur gezwungen. Negans Brutalität und Obszönität, verbunden mit seinen ständigen Wiederholungen, dass nun alles anders ist, sind kein radikaler Wandel, sondern ein Rückschritt zu einer Figur des Governors auf Steroiden. Bis jetzt wirkt Negan äußerst einseitig. Das Buch wird nicht die unendlich interessanten Aspekten des Aufbaus einer post-apokalyptischen Welt erkunden, wie in den letzten Ausgaben durch Rick angedeutet, sondern sich erneut auf seine Botschaft aus den letzten 99 Ausgaben zurückbesinnen: Dass der Mensch, losgelöst von Zivilisation, in perverse Gewaltorgien und individuelle Überlebenspsychologien zurückfällt. Das ist realistisch, aber das haben wir schon durchgekaut. Wir wissen um Kirkmans langfristige Ambitionen, doch einen wesentlichen Wechsel bietet diese Ausgabe nicht, lediglich unsere Charaktere müssen sich entscheiden, ob sie klein beigeben oder rebellieren.
Doch nicht alles ist schlecht. Charlie Adlards Artwork ist wie immer erwähnenswert. Wie er Kirkmans Gerüchte zufolge kurze Skripte auf dem Papier umsetzt, ist magisch. Er bezieht sich einer Symbolik, die für einen Comic dieser Art beachtlich ist. Man betrachte zum Beispiel das Panel, in dem Glenn sich im Auto hinlegt, und vergleiche es mit seiner Hinrichtung. Ebenso stark ist das Panel, in dem Lucille Glenns Unterkiefer wegschlägt, während Negan genießerisch grinst.
Kirkman hat noch genügend Ausgaben und Storylines in sich und seinen Charakteren, dass The Walking Dead auf lange Frist interessant sein dürfte. Eins bleibt klar: Die Zombies sind nur Szenerie, dies ist ein Comic über Menschen und tiefliegende Fragen, die mit dem Governor eigentlich schon beantworten wurden. Wir werden sehen müssen, wie und ob Negan hier weitreichend wirkt. Sein dramatischer Einmarsch jedoch bietet neuen Lesern, die durch den Hype zum Comic gefunden haben, nicht viel Einsicht und alten Lesern Trauer um Glenn und einen Bösewicht, der dem Gefühl nach schon einmal da war.