USA, 2011
Regie: Werner Herzog
Länge: 107 Minuten
FSK: 16
Rating:
‘Into The Abyss’ ist mit Sicherheit der traurigste Film, den ich jemals gesehen habe. Wer Herzog kennt, wird überrascht sein, wie er sich selbst zurücknimmt. Er bleibt stets Off-Screen, führt Interviews und weiß die Kamera durch das Leid des Lebens zu führen.
Vor rund 10 Jahren beschlossen die jungen Teenager Jason Burkett und Michael Perry, dass sie den roten Camaro eines Schulfreundes fahren wollen. Im Haus angekommen, töten sie die Mutter, bringen den Körper weg, müssen aber danach wieder in die Gated Community rein und töten daher ihren Schulfreund und dessen Freund beim Eingangstor. Nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei endet ihre Fahrt an einer Hauswand, sie können noch einige Meter entkommen, müssen sich aber angeschossen ergeben.
Wer Herzog kennt, weiß, wie schnell er hier sein eigenes Urteil in den Mittelpunkt stellen könnte, doch das tut er nicht. In einer Dokumentation über ein so unnötiges Verbrechen, die Dunkelheit im Menschen und die Todesstrafe, äußert er sich nicht einmal direkt zu den zentralen Themen, auch wenn man zwischen den Zeilen natürlich eine klare Botschaft erkennen kann. Herzog ist gegen die Todesstrafe. Er verachtet, was Michael Perry und Jason Burkett getan haben, das sagt er Perry direkt bei ihrem ersten und einzigen Treffen, zehn Tage vor dessen Hinrichtung. Doch Perry ist ein menschliches Wesen und als solches gebührt ihm laut Herzog Respekt, den er ihm entgegenbringt – doch das heißt noch lange nicht, dass er ihn mögen muss.
Herzog interviewt Mutter, Vater, Freunde, Brüder, Schwester und Bekannte, neu Angetraute, sogar die schwangere Freundin von Burkett (der keinen Kontakt zu ihr hatte, weshalb die Schwangerschaft ein Mysterium bleibt) und dabei vergrößert er immer weiter den Kreis um die zentrale Tat und das Leid wächst und wächst. Wie eine so dumme Tat die Leben von so vielen Menschen für immer beeinflusst ist erschütternd, die visuell eingefangene Traurigkeit ist so bedrückend, dass ich nicht glaube, dass ich den Film jemals wieder ansehen will. Die Trauer endet auch nicht bei Captain Fred Allen, der bei über 100 Exekutionen leitender Verantwortlicher war. Er hat nichts direkt mit dem Fall zu tun und ist dennoch zentrales Herzstück in Herzogs Dokumentation. Herzog richtet sich hier ganz zentral im Höhepunkt der Dokumentation an den Zuschauer: Ganz egal, ob man für oder gegen die Todesstrafe ist, sollte niemand dafür verantwortlich sein, diese Exekutionen durchführen zu müssen. Alleine deshalb sei die Todesstrafe abzuschaffen.
Man sagt, die Hoffnung stirbt zuletzt. Die Hoffnung nach all der Trauer ist immer ein Neubeginn. Meist in der Form eines neues Lebens. Burketts schwangere Frau bringt dieses buchstäblich bald zur Welt, doch die Hoffnung erstickt bereits im Keim. Nicht umsonst widmet Herzog einen Großteil den zweiten Akts dem Vater von Jason Burkett, der selbst im Gefängnis sitzt und bereits während der Kindheit seines Sohnes eingeschlossen war. Wie kann dieses Kind eine gute Zukunft vor sich haben? Wird sich die Geschichte wiederholen? ‘Into The Abyss’ ist wirklich eine dieser seltenen Dokumentationen, die so einnehmend sind, dass man noch tagelang danach über den Stoff nachdenkt, man den Glauben an alles verliert und sich fragt: “Und das alles wegen einer Spritztour in einem roten Auto?”