Also eigentlich ist die Überschrift ja schon mal kein guter Start, denn die ESL, also die Electronic Sports League, ist nicht faktisch tot. Die ESL hat sich über die Jahre immer stärker auf professionelle Spieler und große Turniere fokussiert, während niedrigere Wettbewerbsstufen eher durch andere Plattformen wie FACEIT oder ESEA bedient werden. Sie existiert nach einer Übernahme der saudi-arabischen Investmentgruppe Savvy und einer Fusion mit FACEIT weiterhin fort als ESL FACEIT GROUP. Und ja, da finden noch viele hochdotierte Turniere statt, aber der low-level Gamer mit RGB-RAM-Gaming-PC kann weder damit etwas geschichtlich anfangen, noch existieren da viele Profile oder eine kompetitive Struktur bzw. Mentalität diesbezüglich.
Aber ich will ja eigentlich über die ESL reden, also die alte Seite von damals™, wo Spielerinnen sich Accounts anlegten und ehrgeizig in Ligen, Turnieren sowie Duellen messen und ihren Skills feste Zahlen beimessen konnten. Und diese ESL ist schon lange tot. Ich wurde nochmal für ein altes Turnier irgendwann Anfang der 2010er für das Spiel Evolve von einem alten Teamkollegen reaktiviert, aber meine Glanzzeiten als Pro-Gamer (ohne Ironie bitte) sind lange vorbei. Es reicht für den Europameister-Titel und Rang 2 in der ESL Pro League in Battlefield, bei Call of Duty war ich lange Team-Captain der Saarländer. Aber das war 2007. Inzwischen überreiche ich Schülerinnen ihr Abitur, die dann geboren wurden.
Und auch wenn das nun schon bald zwanzig Jahre her ist und – um mich mit einer weiteren Referenz noch älter zu machen – das nach Al Bundys High School Football-Geschichten klingt, ich habe da in regelmäßigen Abständen mich gerne daran durch einen Einfall erinnern lassen und dort eingeloggt, die alten Spielstände und Profile durchstöbert, um nach fünfzehn Minuten den Tab wieder nostalgisch seufzend zu schließen.
Insbesondere eine Geschichte hat mich immer wieder traurig zurückgelassen, wenn ich mich durch meine Teammitgliedschaften klickte. Eine Gruppe erinnerte nämlich an das Gedenken von Rafael aka shelter. Rafael war nicht mein Teamkollege, aber man kannte sich von gemeinsamen Trainingsspielen, von den üblichen Servern und natürlich über Teamspeak etc. indirekt natürlich schon. Er starb 2009 bei einer Klassenfahrt in die Türkei an einer Alkoholvergiftung. Soviel ich weiß, hat einer der Hotelmitarbeiter den Schülern nachts auf der Suche nach mehr schwarz gebrannten Alkohol verkauft.
Die DSGVO, die 2018 für große Anpassungen der Datenschutzverordnungen im europäischen Netz führte (als Blogger kann man davon auch ein Lied singen), regelt u.a. das Recht auf Vergessenwerden und die Löschung inaktiver Accounts. Die ESL führte daraufhin ein, dass inaktive Accounts nach 4 Jahren gelöscht werden. Mir fiel das zunächst nicht auf, weil zunächst nur einzelne Accounts verschwanden und ich davon ausging, dass vielleicht inzwischen in die Jahre gekommene Gamer*innen hier ihren digitalen Footprint reinfegten.
Aber als mich ein alter Teamkollege vor ein paar Wochen auf Twitter anschrieb, ob ich der und der bin von damals und so, ging ich angeregt davon wieder auf die ESL und stellte erschrocken fest, dass inzwischen so viele Accounts fehlen, dass das alles nicht mehr repräsentativ ist. Auch die Turniere von damals, die Erfolge – eigentlich so ziemlich alles bis auf die Teams – fehlt. Man sagt ja, dass man zweimal stirbt. Einmal richtig und dann, wenn sich wer zum letzten Mal an einen erinnert oder den Namen sagt.
Nun, die ESL in der Form eignet sich für mich nicht mehr wirklich, um in Erinnerungen zu schwelgen und die Profile von alten Zockerfreunden anzuschauen. Daher: RIP ESL. Rafael bleibt mir natürlich in Erinnerung, dafür brauchte ich keine Webseite. Dennoch ist es schade, wie nach und nach dieses alte Internet, das angeblich für immer währen sollte, vergisst. Denn viele Accounts von anderen Zeitgenossen verschwinden einfach so im Nichts. Und so stirbt nicht nur die ESL, sondern auch ein Stück unserer digitalen Vergangenheit.