23 Jan, 2021 · Sascha · Internetgold,Politik
Klar, natürlich finde auch ich das neue Bernie-Meme von Bidens Inauguration zum Schmunzeln. Das Foto an sich ist zweifelsohne lustig. Der ehemalige Primary-Kandidat und Gewinner der Internetherzen sitzt dort bei der Amtseinweihung des politischen Mitstreiters angezogen wie ein Opa bei der sonntäglichen Tanzvorführung seiner zweitliebsten Enkelin. Dazu kommt die Maske, die den Gesichtsausdruck verwehrt und somit die sperrige Körperhaltung mehr betont. Selbstverständlich kommt dazu das authentische Outfit: Nicht nur trägt Bernie die gleiche Jacke wie in seinem letzten viralen Hit, was ihn noch nahbarer erscheinen lässt als er ohnehin schon vernommen wird, nein, er trägt auch übergroße und ulkige Handschuhe, die ihm eine Unterstützerin vor einiger Zeit schenkte. Bestes Accessoire bleibt natürlich der Schnellhefter.
Ein Bild verfestigt sich: Bernie, der Schaffer, der zwar lieb Frau Gaga zunickt, aber mental bereits den nächsten Gesetzesentwurf anpackt, um das Leben der Menschen zu verbessern. Diese prunkvolle Show? Zeitverschwendung eigentlich, wird aber pflichtbewusst ertragen.
Also klar, das Foto ist natürlich super lustig. Andererseits überrascht mich die Viralität doch sehr. Ich möchte fast sagen: Kommt, Leute, jetzt ist doch mal genug. Die besondere memetische Qualität liegt in der Simplizität des Bildes: Grumpy old white guy sitzt dort rum und kann via Photoshop quasi überall hingepflanzt werden. Die Anwendungsmöglichkeiten sind endlos.
Und zuerst machen sie Sinn: Bernie erscheint in anderen politischen Kontexten, historischen Treffen, Sitdowns in der Popkultur. Bernie findet Platz in Rivendell, beim Treffen der Rebellenallianz auf der Home One, etc. Spätere Entwürfe lassen Bernie in anderen Memes auftauchen, am Ende nimmt Bernie auch einfach am familiären Lagerfeuer Platz. Komplett ohne Sinn oder Gedanke. Und ja, dann ist es doch jetzt wirklich auch mal gut. Die Lebensdauer eines Memes variiert stark; und Bernie brennt doppelt so hell wie andere Überflieger und daher prognistiziere ich eine kurze Halbwertszeit voraus. Vielleicht wird man wieder auf ihn bei zukünftig passenden Events zurückgegriffen, aber jetzt scheint das doch durchgespielt zu sein.
Dazu ist das Meme aber auch etwas problematisch. Nein, natürlich nicht etwa misogyn, wie andere Tweets das kritisierten, da seine Haltung bei der Amtseinweihung – der Vizepräsidentin, dazu mit Migrationshintergrund – ein falsches Signal setze. Sondern es ist symptomatisch dafür, wie sich große Teile der Linken in den USA ihre ikonische Figur und dadurch auch sich selbst sehen, zumindest der Teil der Medienelite. In den USA ist er “Crazy Bernie” für die Einen, der nette alte weiße man, den man noch “stanen” darf, ohne dass es problematisch wird für die Anderen. Die Antwort auf das frustrierende Demokratische Establishment, der deklarierte Feind.
Dabei lohnt sich ein europäischer Vergleich, also ein Blick in die politische Normalität: Pluralistische Parteiensysteme. Bernie, das muss man klarstellen, ist programmatisch Mitte-Links aufgestellt; einer, der sich wohl im linken Flügel der SPD gute Gespräche mit Kevin Kühnert führen könnte. Niemand, der für deutsche Verhältnisse empörende Forderungen auf den Tisch knallt. Das betont er selbst in Interviews. Doch legislativen Erfolg hatte Sanders selten. Die New York Times schrieb mal über ihn: “Big legislation largely eludes Mr. Sanders because his ideas are usually far to the left of the majority of the Senate”.
Bernie ist ein eben Mann fürs Große, ein Typ mit Ideen. Seine Gedanken sind sicherlich richtungsweisend und in ihrem progressiven Kern positiv zu bewerten, doch seine jahrzehntelange Karriere im Kongress weist wenige Erfolge auf, was Politico auch auf ihn zurückführt, denn “rarely [did he] forge[…] actual legislation or left a significant imprint on it.” Nicht nur sein Fehler, klar. Seine Ziele finden bei Wahlen keine Mehrheiten. Feel the Bern? So ging es 2020 noch deutlich weniger als der klaren Minderheit 2016. Egal, was das Internet einen hat glauben lassen. Obwohl Millenials und Generation Z die Mehrheit der Bevölkerung stemmen, machen Wähler über 65 Jahre ein Viertel des Primary Votes aus.
For all this y’all could’ve just voted for bro. https://t.co/CgieFDb2BK
— midcentury mike (@mikehistory) January 25, 2021
Daher hilft auch das Meme nicht. Bernies Grumpiness wird mit den Fehlschlägen seiner Ideen memetisch vereint und weitergereicht. Die Progressivität des Außenseiters, der fehlplatziert in ikonischen Bildern auftaucht, sticht dadurch noch mehr heraus. Und hier findet im Unterschied zu Biden eine memetische Verknüpfung von Meme-Objekt und eigentlicher Policy statt. Das Foto ist lustig, klar. Aber der Preis ist, dass das Meme einer Verniedlichung gleichkommt, was somit auch mit einer Verniedlichung seiner Policy-Ideen einhergeht. Noble, wenn auch unerreichbare Ziele, so der Sinn. Braucht man gar nicht erst zu probieren. Vielleicht steckt also unterbewusst eine große Spur von Galgenhumor darin? Vielleicht endlädt sich auch hier zeitgleich passend zur Amtsübergabe eine immense Anspannung in einer Rückkehr zu Memes aus einfacheren Tagen. Ich weiß es nicht.
Wie auch immer. Genug. Zeit, dass die Arbeit beginnt.