Do you also subconsciously feel this stigma against Netflix movies? Brad Pitts new war movie looks almost Oscar-worthy –but on Netflix? Nah
— ˗ˏˋ PewPewPew ˎˊ˗ (@reeft) April 2, 2017
Dieser Tweet hatte einigen Zuspruch erfahren und ich wollte das Gefühl noch einmal ganz kurz in einer etwas längeren Form auf dem Blog festhalten. Und genau das soll es auch sein, die Beschreibung eines Gefühls, ohne große Zahlen (die Netflix ohnehin nicht preisgibt) und Box-Office-Crunching.
Das Netflix-Original Branding hat keine besondere Bedeutung. Netflix drückt seinen “Original”-Stempel auf Eigenproduktionen, eingekaufte Serien und Filme sowie Serien, die zum Beispiel nur über Netflix ausgestrahlt werden, sonst aber nichts mit Netflix am Hut haben (siehe z.B. Better Call Saul in Deutschland). Das verwässert die Marke ungemein und lässt alles sehr undurchsichtig erscheinen.
Von Netflix produzierte Filme mit Oscar-Hoffnungen werden im gleichen Atemzug wie Adam Sandlers neuer Urlaubsdreh genannt. Netflix veröffentlichte im gleichen Jahr Ridiculous Six und Beasts of No Nation und während dieser Move natürlich die Bandbreite des Streamingdiensts unterstreicht, gibt es aber auch einen ungewollten Nebeneffekt. Ich vermute, dass das sonstige Line-Up aus The Do-Over, Tallulah, XOXO, Spectral oder Special Correspondents anderen prestigeträchtigeren Filmen die gewisse Aura eines Awardsfilms raubt.
Der direkte Vergleich zwischen Amazons Manchester by the Sea und Netflix’ Beasts of No Nation bietet sich an. Netflix kaufte die internationalen Rechte an Beasts auf, veröffentlichte den Film in einigen Kinos und zeitgleich online. Dies rief einen Boykott einiger Kinobetreiber hervor. Amazon kaufte Manchester by the Sea nach einer erfolgreichen Premiere auf dem Sundance Filmfestival (Netflix tat dies jetzt ebenso mit The Discovery). Amazon Studios brachte Manchester zunächst in die Kinos, bevor der Film im Januar online erschien.
Als Netflix vor einem Jahr bei den Oscars leer ausging, wurde dies teilweise als eine Absage an Streamingdienste wie Netflix und dergleichen angesehen. Der Film Manchester by the Sea konnte jedoch, der eben nicht nur halbherzig wie Beasts in einigen Kinos in Los Angeles und New York lief, um sich für die Oscars zu qualifizieren, in diesem Jahr zwei Trophäen mit nach Hause nehmen und insgesamt 6 Nominierungen für sich verbuchen, unter anderem die für den besten Film.
Woran liegt das? Amazon Studios’ head of media development Roy Price hat die für mich schlüssige Begründung nun in einem Interview dargelegt:
I think customers appreciate the opportunity to see films in a cinema where you get a full theatrical experience, and we want to create that opportunity for customers. And also … a lot of people who became filmmakers they want people to have the opportunity to see their film as intended in the full experience.”
“[W]hatever you may predict to happen six or seven years from now, theaters play an important role in the movie ecosystem now, so why not participate in that? … Once the movie comes on the service having been in theaters, I think there is a perception that it’s a legit movie: It was reviewed, and it was in a theater — it’s like, a movie. It helps with customer perception, it helps with filmmakers, so we’re very supportive of the theatrical window.”
So gering auch die eventuellen Zuschauerzahlen, verglichen mit den Streamingzugriffen, auch sein mögen: Ein Film wird erst zum Film, wenn er im Kino läuft. Ansonsten ist es dieses weirde Dinge zwischen Kinofilm und TV-Spielfilm mit dem momentan niemand etwas so wirklich anzufangen weiß.
Case in point: Netflix’ neuer Film War Machine mit Brad Pitt wird wahrscheinlich nicht für einen Oscar nominiert werden, obwohl die nominierten Produzenten von The Big Short sowie Regisseur David Michôd (Animal Kingdom, der fantastische The Rover) dahinter stecken. Insbesondere Michôd steuerte in den letzten Jahren meinem Empfinden nach langsam, aber sicher auf eine Oscar-Nominierung zu. Ebenso wird wahrscheinlich Noah Baumbachs neuer Film mit Adam Sandler, Ben Stiller, Dustin Hoffmann und Emma Thompson nicht einmal das Indie-Prestige eines Frances Ha erhalten. Der Film wird nicht wie The Squid and The Whale ein Teil der Criterion Collection werden. Trotz einer wahrscheinlichen Premiere in Cannes.
Dafür sehen den Film wahrscheinlich schlussendlich mehr Leute. Baumbach muss sich keine Sorgen um die Finanzierung machen, der Film wird für ihn und seine Produzenten wohl keinen Verlust oder schlechte Box Office Neuigkeiten erleiden. Dies ist im Sundance-Level der Indie-Filme ja ohnehin seit einigen Jahren Gang und Gäbe: Den Film verkaufen, sodass ein Gewinn entsteht und im Umkehrschluss erfährt er zudem eine breite Veröffentlichung. Es ist heute unglaublich leicht einen Film zu veröffentlichen, aber dass Leute ihn sehen, wird zeitgleich exponentiell schwieriger. Wusstet ihr zum Beispiel, dass Netflix übers Wochenende den neuen Joe Swanberg Film Win It All rausgeworfen hat? Ich nicht, zumindest nicht bis vor einigen Minuten.
Vielleicht ist auch gerade diese Bequemlichkeit des Schauens ein Problem dieses Netflix-Stigmas. Wer sich War Machine demnächst ansehen möchte, muss sich nicht nach den Zeiten des Kinos richten, nicht zum Kino gehen, für ein Ticket bezahlen und den Raum mit anderen Menschen teilen. Dadurch wirkt der Film aber eben nicht mehr wie ein “legit Film”. Klar, für sich genommen unterscheidet ihn nichts von anderen Filmen und die Fetischisierung der Kinogänge darf auch nicht zu weit gehen, aber Roy Price hat recht. Zumindest auf der Gefühlsebene.
Filme lassen sich durch Netflix leichter in den Alltag integrieren, bleiben im Umkehrschluss durch den Verlust eines Eventcharakters, sei er auch noch so klein, weniger im Gedächtnis hängen. Es folgen ein kleinerer Buzz, weniger Kritiken und der nächste Netflix-Film steht auch schon in den Startlöchern. Jeden Freitag stellt Netflix Sachen online, ohne sie auch nur irgendwie genauer zu kuratieren. So im Sinne von “Hier, halt mal”. Hinzu kommt die undefinierte Macht des Algorithmus, gefühlt drei neue Netflix-Serien pro Wochenende und perfekt ist das Chaos. Und wenn ein prestigeträchtiger Film bereits auf der eigenen Plattform aus der Masse herausstechen muss, wie soll er dann in der Konkurrenz mit vermeintlich “echteren” Kinofilmen mithalten können?
Netflix veröffentlicht bald Death Note, eine Verfilmung des geliebten Animes, die bisher keinen vergleichbaren Hype oder Outrage wie Ghost in the Shell generiert hat. Bong Joon-hos neuer Film Okja verblasst ebenfalls im Vergleich zu Snowpiercer, bei dem es etliche Diskussionen und Gerüchte um den finalen Cut, aber auch den Kinostart an sich gab. Rund um Okja herrscht bisher relative Stille. Der Verleiher? Netflix. Der Trailer hat gerade einmal etwas mehr als 500.000 Zugriffe. Ein Kommentar auf YouTube: “Netflix should start their own theaters, and have these movies there, because I like to watch this on a big screen.”