Dieser Artikel erschien zuerst in der 9. Ausgabe des WASD-Magazins.
In jedem Game stirbt man tausend Tode, aber nur einen davon wirklich.
Das Ende eines MMORPGs ist eine gleichsam seltsame und tieftraurige Angelegenheit. Man müsste meinen, die meisten Videospiele seien für die Ewigkeit gemacht. Habe ich Lust auf Super Mario World, schließe ich mein über zwanzig Jahre altes Super Nintendo Entertainment System an und lege los. Vielleicht brauche ich noch einen Adapter, weil ich mir einen neuen Fernseher gekauft habe, der die alten NTSC/Pal-Signale in HD umwandeln muss, aber ansonsten steht dem Spielvergnügen nichts im Weg. Bei einem MMO ist das jedoch anders. Sobald die Verbindung unterbrochen wird, sobald die offiziellen Server heruntergefahren werden, ist die Show vorbei. Für immer.
Man konnte im Verlauf der Jahre spüren, dass *Star Wars Galaxies leerer wurde. Städte verschwanden von der Flugroutenkarte. Ehemals von Jedi, Rebellen, Space-Piraten, Sith und Stormtroopern bevölkerte Siedlungen liegen im Staub und es ist ein unglaublich trauriges Gefühl, wenn man auf seinem Speederbike schon aus weiter Entfernung die zerstörten Stadtplanungen erkennt.
Wo einstmals Politiker – was tatsächlich ein Beruf mit Skill Points im Spiel war – in einem der vielleicht besten Sandkasten-MMORPGs aller Zeiten mit virtueller Stadtplanung und geschickt verlaufenden Straßen für nahezu lebendige und eigenständige Metropolen im Star Wars Universum sorgten, stehen heute verlassene Häuser von lange deaktivierten Spieleraccounts. Im Star Wars-Film-Universum wären sie längst von den Sanddünen Tatooines verschlungen worden.
Die Entvölkerung der virtuellen Star Wars Galaxis nahm schließlich solche Ausmaße an, dass Sony einen „Leerstehendes Haus“-Alarm für die Verbleibenden einbaute. Diese wurden dann mit einem „Luftangriff des Imperiums“ ausradiert. Und als wäre das schon nicht traurig genug, erhielten besonders fleißige Spieler dafür sogar eine Auszeichnung.
Die Freundesliste wurde ebenfalls immer kleiner. Ging man früher in der Woche abends online, erstrahlte eine Ansammlung von illustren Namen in gelber Schrift. Später laß man dann nur noch die immer gleichen fünf Namen. Hardcorespieler, die ihre Dungeons nur verließen, um ihren Loot zu verkaufen, und jene, die bis zum bitteren Ende Gäste in ihrer Cantina bewirtschaften wollteb. Dabei war oft die Anzahl der Bandmitglieder höher als die Anzahl der Gäste. Man wusste eigentlich, dass es vorbei war.
Das Todesurteil
In der Zwischenzeit kündigte Bioware *Star Wars: The Old Republic an. Auf den ersten Blick hatten die Spiele relativ wenig gemeinsam – ein heutiger Vergleich würde zum gleichen Ergebnis kommen -, aber man wusste sofort: Zwei Star Wars MMOs? Das kann nicht gut gehen. Und so kam es dann schließlich auch: LucasArts und Sony Online Entertainment kündigten am 24. Juni 2011 an, dass die Star Wars Galaxies-Server am 15. Dezember 2011 abgeschaltet werden würden. Fünf Tage vor dem Start von *SWTOR.
Das Ende eines vielgespielten MMORPGs verrät einem sehr viel über sich selbst. Spielt man eine Figur über mehrere Jahre, oftmals täglich, erforscht mit ihr eine Welt und schließt Freundschaften, sammelt Haustiere und richtet mit ihr Wohnungen über Stunden liebevoll ein, um sie virtuellen und echten Freunden zu zeigen, dann ist diese Todesnachricht sehr persönlich. Schließlich wird alles, was man jemals gemacht hat, von jetzt auf gleich gelöscht. Jede große Trophäensammlung, jeder Fuhrpark eines Raumpiloten, alle Haustiere der Beastmaster, die schönsten Waffen der Jäger, alle Städte, die bis zum Ende ausgeharrt haben und dem drohende Ende getrotzt haben — alles weg.
Doch es bleibt ja auch ein wenig Zeit, von der Ankündigung im Juni bis zum finalen virtuellen Todesstoß im Dezember. Und so lernt man, wie man mit einer solchen Nachricht umzugehen hat.
Zunächst einmal verkaufte ich all die irrsinnigen Besitztümer aus meinen Grindzeiten als Jedi. Irgendwelche Kristalle, Buffs, Lichtschwerter, Waffen, Schwerter und Rüstungen. Raus damit.
Über die Jahre habe ich immer einen Spagat zwischen den beiden Welten dieses Spiels gewagt. Ich wollte zwar als Jedi mächtig sein und einfach durch Dungeons wandern können und so die Abenteuer erleben, die das Spiel zu bieten hat – aber ich wollte als Fan des Expanded Universes auch das an den Kanon angelehnte Rollenspiel erleben. Das Spiel setzte kurz nach der Zerstörung des ersten Todessterns an. Da konnte ich kein Jedi sein – also wurde ich Schmuggler. Das passte zu meiner Figur, die ich ohnehin seit Jahren so spielte. Mit meinem neuen Vermögen konnte ich mir lange gehegte Wünsche erfüllen und so erstand ich ein Item aus den Anfangstagen des Spiels, das mittlerweile schon aus dem Spiel gelöscht war. Einen Armreif. Den wollte ich schon immer für meine Figur haben.
Vorbereitende Nostalgie
Ich machte viele Screenshots von diesen Items, unglaublich viele Videos und Fotos von allem und jedem und selbst heute noch schaue ich mir meine Erinnerungen öfter an, als mir lieb ist. Fotos von meiner Figur Reeft und ihrem Haustier. Wie sie an Cantina-Abenden in der Ecke sitzen, mit einem Schmuggler-Ring auf Abenteuer gehen oder einfach von einer Klippe aus die Spiegelung des Mondlichts auf dem großen See vor unserem Gildenhaus betrachten.
Es folgten viele dieser kleinen, aber kostspieligen Wünsche und neben diesen virtuell-materiellen Erfüllungen fand ich gute Freunde, die mir bisher nur als lose Bekannte vertraut waren. Das Ende schweißte zusammen. Man hat gemeinsam Planeten besucht, es gab Touren, die Spielergruppen auf ein Raumschiff einluden und zu diversen berühmten Punkten durch das Universum führten. Eine letzte große Abschiedstour, die die Schönheit dieser Welt preisen wollte– und versucht hat, mit den dort gemachten Erinnerungen abzuschließen.
Wir ritten auf unseren Tieren durch die Berge von Endor, die Sümpfe von Yavin IV, und besuchten die Seen und Wasserfälle Naboos. Wir erzählten uns Geschichten von großen Rollenspielereignissen und zeigten uns besondere Plätze, die uns schon immer viel bedeutet hatten. Ich habe Videos von diesen letzten Momenten und Reisen. Ich schaue sie mir ab und zu an und frage mich, was ich mir dabei gedacht habe. Nicht nur, dass ich damals diese Abschiedstouren durch eine Welt gemacht habe, nein, ich nahm sie sogar mit Hilfe von Fraps auf.
Massively Human Multiplayer Online Game
Vor allem aber such ich in den Screenshots nach Namen. Elvie, Kh’arta, Wrong, Zembla… ich erinnere mich an manche von ihnen. Viele sagen mir nichts mehr, aber ich weiß noch genau, wie es aussah, als diese Namen auf meiner Freundesliste über den Screen scrollten. An Chad jedoch werde ich mich mein Leben lang erinnern. Chad fand mich irgendwo in Mos Eisley und ich tat ihm wohl leid. Ich traf ihn an meinem ersten Tag im Spiel. Er gab mir meine erste richtige Waffe. Zusammen gingen wir an den Stadtrand, wo wir uns den Weg durch ein paar Wompratten zu seinem Speeder prügelten.
Unterm Strich sind es immer die Menschen, die ein MMO mit Herz, Spaß und Spiel füllen. Dass man *SWTOR quasi im Alleingang mit einem NPC-Partner durchspielen konnte, ist nur ein Grund, wieso mich das Spiel nie so angesprochen hat, wie es *Star Wars Galaxies tat.
Vor rund einem Jahr griff ich mal wieder zu meinen Galaxies-DVDs und installierte das Spiel erneut. Ein paar Hardcore-Fans hatten einen Emulator gebaut, um die ursprüngliche Version meines geliebten Star Wars MMORPGs wieder aufleben zu lassen.
Ich kreierte Reeft 2.0 und versuchte, ihn so ähnlich wie möglich nach seinem Vorgänger zu gestalten. Ich loggte mich ein und da war es, vier Jahre nach seinem offiziellen Ende: *Star Wars Galaxies. Vor den totbringenden „New Game Enhancements“. Vor dem Spieler-vertreibenden Combat Upgrade. Bevor Sony Online Entertainment den Stecker zog. Aber es war nicht das Gleiche. Natürlich nicht, wie könnte es auch sein? Die mir so vertrauten Städte waren nicht mehr da, meine Gilden verschwunden, meine Freundesliste leer. Ich hatte immerhin den gleichen Nicknamen und hoffte, dass mich jemand erkennen würde. Nach einer Woche deinstallierte ich verbittert das Spiel.
Es ist ein komisches Gefühl, wenn einem plötzlich der Zugang zu einem Spiel verweigert wird. Früher zog die Mutter erbost die Kassette aus der Konsole, wenn man zu lange spielte. Und heute stoppt irgendein fieser Großkonzern den Spielspaß, obwohl man weiterhin dafür über Jahre hohe Beträge bezahlen würde, weil wegen irgendwas mit Geld. Verdammt.
20th Century Fox