Es ist kein Wunder, dass Comic-Größe Robert Kirkman mit seiner Produktionsfirma Skybound bereits an einer Film- bzw. Serienadaption von Oxenfree arbeitet. Das erste Spiel aus dem Hause von Nightschool Studio, das sich aus Disney und Telltale Alumni zusammensetzt, mutet nicht wie ein gewöhnliches Spiel an, sondern überzeugt durch eine überraschend dichte Erzählung sowie komplexe Figuren und Beziehungen.
Oxenfree erhält seinen Namen aus einem Kinderspruch (“olly olle oxen free”), der am Ende eines Versteckspiel gerufen wird. Alle, die sich bis zu dem Zeitpunkt erfolgreich verstecken konnten, sind erlöst und können rauskommen. Der etwas umständlich wirkende Name passt daher aber perfekt zu der Geschichte um eine Gruppe Jugendlicher, die am letzten Tag des Schuljahres auf eine berühmt-berüchtigte Insel fahren, um dort Party zu machen – und auf etwas Übernatürliches stoßen.
Das Abenteuergenre hatte in den letzten Jahren ein längst überfälliges Revival erlebt. Allen voran die Entwickler von Telltale Games war dafür mit verantwortlich. Dank ehemaligen Mitarbeitern Telltales startet das Adventure-Gaming-Jahr nun mit Oxenfree besonders stark.
Spieler_innen schlüpfen in die Rolle von Alex, einer jungen Schülerin, die sich mit ihrem Stiefbruder Jonas, ihrem Jugendfreund Ren sowie ihren zwei Mitschülerinnen, Clarissa und Nona, auf einer verlassenen Insel trifft. Kurz vor Sonnenuntergang fährt die letzte Fähre die Gruppe zur Insel, wo fortan am Strand eine Party mit Alkohol, Drogen und Lagerfeuer beginnt.
Das Setting wäre der perfekte Ansatz für einen Slasherfilm, doch das ist nicht das einzige Klischee bzw. der alleinige stereotypische Hergang, den das Spiel gekonnt umschifft. An Blut, Horror oder Amnesia-esken Jump-Scares ist Oxenfree gar nicht interessiert (wobei letztere schon vorhanden sind und mir beim Durchspielen in der Nacht tatsächlich eine starke Reaktion abverlangten).
Stattdessen spielt die Geschichte und das Gameplay mit der Entdeckung der anderen Figuren und des Unheimlichen, das durch leise und visuell gezielte Momente dem Spieler eine anhaltende Angst bzw. ein Gefühl des Unbehagens eintreiben will. So hat die Protagonistin Alex ein Radio, das – nachdem die Gruppe zufällig etwas Übernatürliches geweckt hat – unheimliche Frequenzen und gequälte Töne abfangen kann. Hinzu kommen visuelle Anomalien und Erscheinungen, die tatsächlich wesentlich unheimlicher und länger wirken, als ein beliebiger Jump-Scare.
Neben dem Radio begrenzt sich das Gameplay hauptsächlich auf das Herumwandern in der wunderschönen Gegend und den immer anhaltenden Konversationen. Beim Erkunden der Insel ist Alex bis auf ganz wenige Momente nie alleine, sodass der Spieler ständig vor die Herausforderung gestellt wird, nicht nur in dem teilweise sehr komplexen Sozialgefüge erfolgreich zu navigieren (und den Figuren Geheimnisse abzuverlangen), sondern auch vor allem schnell auf die Inhalte des Gegenübers zu reagieren. Hier sehe ich auch den einzigen, größeren Kritikpunkt des Spiels. Die Antwortmöglichkeiten verschwinden nicht nur mit viel zu hoher Geschwindigkeit, sie unterbrechen auch den Inhalt des Gesprächspartners mit dem Klick der Option. Als würde meine Auswahl der Audiodatei die andere mittendrin stoppen. Damit ist die ansonsten spürbare Natürlichkeit des Gesprächsflusses dahin.
Das ist sehr schade, denn die Autoren haben im Unterschied zu zum Beispiel Life is Strange authentische Jugendsprache verfasst, die von den Synchronsprecher im englischen Original nahezu perfekt eingesprochen wurde. Dass man diese Geschichten teilweise ungewollt unterbricht bzw. die Einwürfe nicht wie Unterbrecher im Gespräch wirken, sondern eingespielte Audiodateien, ist sehr ärgerlich.
Trotzdem ist dies nicht der Untergang. Die Auswahlmöglichkeiten des Spielers haben zwar eine Auswirkung auf das Ende des Spiels, doch die Entscheidungen in den Gespräch bestimmen nicht über Leben und Tod, wie zum Beispiel in The Walking Dead. Ein weiterer Punkt, in dem das Spiel dem Zombieadventure aus dem Hause Telltale voraus ist: Die Entscheidungen, wie man Alex spielt und mit wem man die Freundschaft ausbauen will, haben eine tatsächliche Auswirkung auf das Spiel – und sind nicht nur kurzzeitige Unterhaltungen, bevor das Flussdiagramm wieder an einem unvermeidbaren Storypunkt zusammenkommt.
Noch bevor die Geschichte mit ihren immer merkwürdiger werdenden Zügen aber überhaupt beginnt, überzeugt Oxenfree bereits im Intro durch seine weirde Mischung an himmlischen und creepigen 80s-Melodien, die es auch ohne das Spiel wert sind, gehört zu werden. Die Ohren werden im Laufe des Spiels sowieso verwöhnt. Das Sounddesign ist neben des Grafikstils des Spiels mit das Highlight. So habe ich selten erlebt, dass mir einige, gequälte, nervigen Stimmen und Geräusche aus einem Radio ein so beunruhigendes Gefühl gegeben haben.
Apropos Grafik: Die wenigen Details der Spielfiguren, die in der 2,5D-Welt herumwandern, vermögen vielleicht auf den ersten Blick ein wenig enttäuschen. Die Geschichte und vor allem die Konversationen lassen sie jedoch zu komplett eigenständigen und komplexen Figuren heranwachsen, die sehr unterschiedlich und leicht voneinander zu unterscheiden sind. Die Spielwelt ist dahingegen ein echter Genuss. Die Kinderbuch- bzw. Wasserfarbenoptik agiert natürlich als angenehmer Kontrast zu der Coming-of-Age-Geschichte um Alex und ihre Freunde. Durch das dezente Lighting erhält die Spielewelt jedoch den notwendigen Twist bzw. Touch, um vollends zu überzeugen und angsteinflößend zu wirken. Oxenfree gefällt mir optisch so schön, dass fast jede Einstellung des Spiels als Wallpaper dienen könnte.
Unterm Strich ist Oxenfree eine Art Kentucky Route Zero light. Die begrenzten Gameplay-Elemente und Rätsel überfordern niemanden, der Mystery-Aspekt ist zugänglicher und die dichte Atmosphäre und das überaus hübsche Art Design werden durch einen eigenständigen Score abgerundet. Oxenfree ist das erste Spielhighlight des Jahres und sollte Genrefans wie geneigte Spieler glücklich stimmen.