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Review: The Leftovers S01E08

19 Aug, 2014 · Sascha · Fernsehen,Review

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© HBO

Mit Cairo gelingt The Leftovers der Ausbruch aus dem bisherigen Schema. Showrunner Damon Lindelof produziert eine grandiose Folge, dank der inszenatorischen Gewalt von Michelle MacLaren, abseits der feinfühligen Charakterbeobachtungen in vorangegangen Folgen.

Es ist ironisch. Mit Cairo strahlte HBO vorgestern die erste Folge von The Leftovers aus, die nicht von Showrunner Damon Lindelof geschrieben wurde. Doch seine Fingerabdrücke am Skript sind unverkennbar. Wieso genau The Walking Dead Produzent Curtis Gwinn und der relativ unbekannte Fernsehfilmautor Carlito Rodriguez dafür engagiert wurden, bleibt wohl ein Produktionsmysterium. Denn gerade in Cairo offenbart Lindelof bisher nicht genutzte Spannung und Emotionalität, Innenleben und Gesamtgefüge. Es ist vielleicht die zentrale Folge der Staffel. Figuren werden vollendet, andere zeigen neue Seiten an sich, Beziehungen gehen zu Ende und der interessante Handlungsort, eine Hütte im Wald mit Personen, die zwar vor einem stehen, deren Existenz man jedoch zumindest anzweifeln kann, erinnert an sein umstrittenes Magnum Opus Lost.

Die Gastautoren meistern ihre Aufgabe jedoch auf beeindruckende Art und Weise. Sie balancieren ihre Handlungsstränge besonnen und schreiben authentische Dialoge für spannende Szenen. Die Figuren mögen leiden, der Zuschauer darf jedoch genießen. Dazu ist die Folge von Michelle MacLaren inszeniert, dieser faszinierenden TV-Regisseurin, die sich in den letzten Jahren mit grandiosen Folgen in Breaking Bad sowie einigen markanten Folgen in The Walking Dead sowie Game of Thrones einen Namen in der Branche machte. Ihre Regiearbeit verleiht der Serie eine ganz neue Qualität. Ihre Übergänge sind flüssiger, ihre Bilder des Suburbanen mythisch und das Finale wirkt nahezu biblisch. Im buchstäblichen Kammerspiel im Wald gegen Ende der Folge fängt sie Kevins klaustrophobische Paranoia mit einer unruhigen Kamera und vielen Rahmen im Bild stimmig ein. Aber das sind nur einige von vielen Bildern, die aus dieser Folge deutlich länger hängen bleiben.

Diese Konfrontation mit ihrem blutigen Ende ist mit dem wunderschönen Cold Open natürlich zu erahnen. Bereits seit Beginn der Serie schmiedet Lindelof an diesem Aufeinandertreffen der Anführer. Dieses Mal treffen beide alleine aufeinander, nur einer entkommt. Wie der Showrunner bereiten die Figuren sorgfältig ihre Pläne vor. Für Patti scheint dies eine größere Aktion am kommenden Memorial Day zu sein, für Kevin Garvey ist es ein symbolhaftes Abendessen mit Nora Durst, seiner Tochter und Aimee. Es ist einer von vielen Schritten des Neuanfangs. Nora (Carrie Coon) gibt zwar zu, nicht zu wissen wie es weitergehen soll, aber gemeinsam können sie die Vergangenheit und somit den Schmerz hinter sich lassen – und Kevin glaubt ihr. Was er dabei jedoch vergisst ist das Wohl seiner Tochter.

Jill is is looking for trouble and finds it – literally. Nachdem sie Nora bereits beim Essen angegriffen hat, bricht sie nun in ihr Haus ein und ist auf der Suche nach der Waffe ihrer neuen Mutter (gesehen in Episode 2). In der Box zum Brettspiel Trouble findet sie den Revolver – für Jill (Margaret Qualley) ein Beweis, dass Nora zwar begonnen hat, ihren Schmerz hinter sich zu lassen, ihn sich jedoch für bittere Zeiten aufbewahrt. Das bedeutet jedoch auch, dass es keine Sicherheit mehr gibt. Niemand kann sich wirklich sicher sein, dass diese Zeiten vorbei sind. Wieso also dann überhaupt noch weitermachen? Ich habe bisher zwar die übertriebenen Aktionen der Teenager stark kritisiert, die Charakterzeichnung bleibt aber weiterhin ausgezeichnet. Jill leidet nicht an stereotypischen Gefühlen der Furcht und Angst, wie man sie oft in der Fiktion bei Heranwachsenden findet, sondern sie ist tief unglücklich.

Das Spiel, übrigens, erscheint mir nach einer kleinen Google-Suche als eine amerikanische Version von Mensch Ärgere Dich Nicht; was insofern passend ist, dass dies Aimees Ratschlag an ihre beste Freundin ist, als sie nach einem Streit auszieht. Angeblich soll Aimee mit Kevin geschlafen haben. Es gibt dafür viele Anzeichen und spielhafte Hinweise innerhalb der Serie, aber ich glaube, dass es sich hierbei tatsächlich nur um eine verbale Eskalation („So I fucked the shit out of him on a pile of guns!“ – Wow!) handelt, als um eine wahre Begebenheit. Dass all dies auf Aimee nervig wirkt, ist verständlich. Sie hat sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Sie will keine Fragen von Noras Ministerium für ein bisschen Geld beantworten, predigt dagegen Akzeptanz und versucht das Beste aus ihrem Leben zu machen, während sie anderen eine Hilfe ist. Hoffentlich kann sie Jill vor den Machenschaften des GR retten.

“You people are some sick fucks!”

Diese Hilfe könnte auch Chief Garvey dringend gebrauchen. Nach einer weiteren alkoholisierten Nacht landet er mit Hundemörder Dean (Michael Gaston) nahe der Stadt Cairo in New York in einer Waldhütte aus seiner Jugend, die nun völlig ihre Unschuld verliert. Innen befindet sich Patti bereits übelst zugerichtet; in den markanten Blitzeinwürfen der Serie erahnen wir, welche Gewalt sie so zugerichtet haben muss. Doch es ist erst der Beginn von Pattis Leiden, dem sie sicher, gewillt und stark gegen übertritt. Kevin ist dagegen kurz vor dem Zusammenbruch. Er kann sich an nichts aus der Nacht erinnern und beginnt seine Realität komplett und ohne Scham zu hinterfragen. Dean kann nichts mit Garvey in seinem Zustand anfangen. Dieser sieht sich als Schutzengel für Garvey und möchte die Aktion mit ihm bis zum Tode Pattis durchziehen, doch er verlässt die Szene jedoch nach einem Zwischenfall.

Wichtig: Er argumentiert scheinbar ähnlich wie Kevins Vater beim Verlassen der Szene mit einer unsichtbaren Person und bestätigt damit sämtliche Theorien und Prophezeiungen, dass “die” auf der anderen Seite mit Kevin etwas vorhaben. Ich halte Dean für einen realen Menschen, der wie Kevins Vater von der anderen Seite kontaktiert und auf eine Mission gesandt wurde. Er bleibt zwar ein Mysterium, Patti nennt ihn auf Grund fehlender Personaldaten einen “Geist”, aber Kevins Schizophrenie ist dennoch hier der bestimmende Faktor. Durch seine Perspektive erhält die Geschichte eine übernatürliche Spur, die Lindelofs Spiel mit dem Zuschauer hervorhebt. Alles deutet auf eine realitätsnahe Lösung hin, doch die Hoffnung durch den unverlässlichen Erzähler darf bestehen bleiben.

Kurz vor ihrem Abtritt aus der Serie kann Ann Dowd dann noch einmal glänzen und sogar sprechen. Macht das Patti zur Heuchlerin oder hat sie einfach nur keine alternativen Ausdrucksmöglichkeit? Und spielt das überhaupt eine Rolle? Sie ist eine Agentin des Chaos. All das fällt ihr leicht, womöglich aber auch weil sie weiß, dass sich selbst im weiteren Verlauf der Serie sowie im stetigen Kampf der GR ohnehin als Märtyrerin instrumentalisieren wird – wieso dann nicht jetzt? Ihr Glaube an einen Sinn verleiht ihr Kraft. Ohnehin offenbart sie Kevin alles: Gladys? Wie vermutet vom GR inszeniert. Die Affäre Kevins zum Zeitpunkt des Departures? Hat Laurie Patti in einem Gespräch offenbart – ebenso wie den Grund der Scheidung. In dieser sinnlosen Welt gibt der GR Laurie etwas, das ihr Mann oder eine andere Person nicht mehr geben kann: einen Sinn, eine Aufgabe. Pattis Erläuterungen sind für aufmerksame Zuschauer der Serie keine Offenbarung, doch ihre Ausführungen zum 14. Oktober und dem daraus entstandenen Kult machen die Sache rund. Dazu brilliert Richters Score erneut im Höhepunkt der Folge.

Wie der Guilty Remnant ohne ihre Anführerin auskommen wird, bleibt derweil spannend. In ihrer Abwesenheit muss Laurie mit einer ungewohnt emotionalen Meg fertig werden (endlich gibt man Liv Tyler etwas zu tun) und die schockierende Ankunft Jills verarbeiten. Doch die Mission der GR scheint so weit fortgeschritten, dass solch kleinen Problemen die Gesamtmission nicht mehr in Mitleidenschaft ziehen können. Wie diese aussieht? Man kann es bisher nur erahnen. Es liegt eine Spur von Jonestown in der Luft, besonders weil Patti nochmal die Aufopferungsbereitschaft der Mitglieder betont. Doch zunächst scheint eine weitere Schockaktion für den Memorial Day geplant zu sein, für den Patti bereits im Cold Open Kleider in der Kirche bereit legte. In den USA gedenken die Bürger am Memorial Day den Gefallenen Soldaten. Während der Gedenktag am 14. Oktober zum praxisorientierten Routinemarsch wurde, will der GR hier den Bürgern wohl eine Lektion erteilen, die man so schnell sicherlich nicht vergisst oder verarbeitet. Ob sich in der offensichtlich illegalen Lieferung tatsächlich nur Loved Ones Puppen oder, wie ich eher vermute, sogar echte Leichen befinden, wird sich wohl erst nächste Woche oder im Finale herausstellen. Michelle MacLaren jedenfalls liefert mit der Vogelperspektive der losen Kleider eine der schaurigsten Einstellungen der Serie, die in ihrem Horror an Spielbergs Krieg der Welten erinnert.

Cairo profitiert von sorgfältiger Exposition und einer außerordentlichen Regiearbeit. Beliebig wirkende Subplots und Charakteristika werden vollendet und in den Gesamtzusammenhang eingebunden. Vom unterschiedlich aufgenommen Inhalt mal abgesehen bietet Lindelofs Adaption eine unbestreitbar exzellent konzipierte Narrative, deren suburbanes Mosaik aus Verlust und Schmerz in ihrer gewissenhaften Komplexität schlicht beeindruckend ist. Wen das noch auf einer emotionalen Ebene anspricht, darf in den Genuss einer wahrhaft einzigartigen Serie kommen. Dazu gibt es eine leichte Transformation. Cairo ist nicht mehr ganz so abgeschlossen wie die bisherigen Folgen und die Spannung steigt ins Unermessliche. Zum ersten Mal seit Beginn der Serie darf man wirklich gespannt sein und rätseln, was als Nächstes passiert.

Zitat der Folge: „Now I know why you don’t fucking talk.“
Meta-Zitat der Folge: „Dude is ripped!“