Review: The Leftovers S01E05 - PewPewPew

Review: The Leftovers S01E05

30 Jul, 2014 · Sascha · Fernsehen,Review

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© HBO

Halbzeit in Mapleton. Nach vier Folgen seelischer Tortur durch die Mitglieder der Guilty Remnant schlägt eine kleine Gruppe in der 5. Folge brutal zurück. Die Tat steht sinnbildlich für die Ausweitung des Sicherheitstaats und die Einschränkung der Religionsfreiheit. Der Alptraum der USA wird wahr.

Es war wohl überfällig. Spätestens nach den Einbrüchen und dem Raub persönlichster Photos durch die Mitglieder der Guilty Remnant, musste die Gruppe um Patti (Ann Dowd) mit ernsthaften Konsequenzen rechnen. Wie lange die Tat zurückliegt, wissen wir ebensowenig inwiefern die allgemeine Reaktion der Bewohner aussah. Am Rande der Bürgerversammlung bezüglich der Ausgangssperre wird die Aktion zwar kurz erwähnt, wahrscheinlich mangelte es aber schlicht an Beweisen. Doch der Mord an GR-Mitglied Gladys bleibt in seinem Maße beispiellos. Könnte sich jedoch dahinter mehr verstecken?

Die Episode, aus der Feder von Buchautor Tom Perrotta und Showrunner Damon Lindelof, beginnt nämlich mit einer Einstellung, die man durchaus unterschiedlich interpretieren kann. Lange, intensive Blicke ist der Zuschauer nach fünf Episoden von den in weiß gekleideten Kettenrauchern bereits gewohnt, doch zwischen Patti und Gladys scheint es hier in der Frühe ein stilles Einverständnis über eine schwierige oder womöglich schmerzvolle Tat zu geben, denn es ist ein intensiver Moment. Gladys hat nämlich Tränen in den Augen.

Doch bevor Gladys ihren finalen Moment erlebt, darf sie noch einmal symbolhaft vorführen, weshalb Mapleton über die Entstehung des örtlichen Kultes so verärgert ist. Zusammen mit ihrer Partnerin verfolgt sie auf ihrer täglichen Tour Einwohner, steigt spöttisch über einen gestürzten alten Mann hinweg und belästigt allgemein das Stadtbild mit ihrer Anwesenheit aus Rauch und einem undefinierbaren Weiß. Ihr Mord ist dahingegen geradezu humanisierend. Gladys wird in den Wald gezerrt, an einen Baum gebunden und zu Tode gesteinigt. Regisseurin Mimi Leder (Deep Impact) scheut nicht vor der brutalen Natur des Moments zurück und lässt die Mörder im Dunklen, während der Zuschauer mit jedem Steinwurf mitleidet. Und dann bricht Gladys, in ihren finalen Sekunden legt sie ihr Schweigegelübde ab und fleht um Gnade, die ihr nicht gewährt wird. Sie kümmert sich nicht um mehr um den Kult, sondern nur noch um sich selbst – Patti (Ann Dowd) mag richtig liegen, dass die Familie zerfällt, aber jeder ist sich selbst der Nächste.

Es ist durchaus möglich, dass es sich hier um eine Selbstinszenierung der GR handelt; dass Gladys freiwillig zur Märtyrerin wurde und dann unter Schmerzen zusammenbrach. Doch wie wahrscheinlich ist dies wirklich? Wir kennen Patti bisher nicht gut genug, doch ihre Manipulationen im Folgenden zeigen deutlich, wie raffiniert und geschickt die Anführerin vorgehen kann. Inwieweit der Mord die Sache der GR fördert, ist unklar. Doch die eigenen Reihen schließen sich. Ende der Episode kann Patti nicht nur Meg als volles Mitglied verbuchen, auch Laurie hat ihre Zweifel aus den letzten Folgen hinter sich gelassen und ersetzt Gladys als neue rechte Hand an Pattis Seite. Dies gelingt ihr durch einen raffinierten Kniff: Nachdem Laurie einen Nervenzusammenbruch erleidet, gönnt Patti ihr und sich selbst einen Tag des Ausgleichs im örtlichen Motel (grandios kommuniziert durch die Lyrics aus „Kiss On My List“ von Hall & Oates). Am Morgen ist Patti beim Frühstück (es gibt Reste – ha! – für einen „Neil“, handelt es sich um Pattis Sohn / Mann?) in Kleidung vorzufinden, sie ist kommunikativ und gut gelaunt. Es ist eine komplett neue Seite, die die Anführerin aber geschickt einsetzt. Es ist jedoch nur ein Spiel. Sie gibt vor, dass der Tag für die Beiden sei, wenn es in Wahrheit nur um den Fortbestand von Laurie in der GR geht. Diese ist im ersten Moment ebenso geschockt wie der Zuschauer, mag den Plan aber nicht durchblicken. Indem Patti Gladys’ Leidensweg (toter Sohn im Jemen, womit nun der Krieg dort bestätigt sein dürfte) offenbart wird, gibt die Anführerin klugen Einblick in die emotionale Realität der „schuldigen Überreste“, aber auch Richtung und Handlungsanweisungen vor. Gefühle und Zweifel sind vernichtende Feuer für das eigene Gewissen, weshalb man sie nicht zulassen darf.

Der Plan geht auf. Am Ende der Episode möchte Priester Matt Jamison (Christopher Eccleston) zusammen mit den Überresten seiner christlichen Gemeinde und den Mitgliedern der GR Gladys gedenken, was durch Laurie eindrucksvoll und geradezu beängstigend verneint wird. Max Richters Score ist hier wieder großartig eingesetzt und verleiht seinen durch sporadischen Einsatz jeder wichtigen Szene ein zusätzliches Gewicht.

9/11, Jesus und die GR

Jamison erzählte zuvor Kevin Garvey eine Bibelanekdote. Der Apostel Thomas soll Jesus mit etwas vergleichen. Später, darauf von den anderen Aposteln angesprochen, sagt er, dass sie ihm ohnehin nicht glauben werden. Deshalb sei es einfacher still zu bleiben, anstatt die Wahrheit zu sagen. Jamisons Geschichte beschreibt den Guilty Remnant besser als jede bisherige Szene. Für ihn sind diese Leute quasi tot, doch er will ihnen helfen, wieder das Leben zu entdecken – stattdessen hilft er den Zuschauern und gibt wahrscheinlich die beste Erklärung oder Parabel über die GR ab, die es bisher gibt. Ähnlich wie Jesus verkündet der neue Kult die Wahrheit, die nicht zu verdrängen ist. Am 14. Oktober verschwanden vor drei Jahren wahrhaftig 140 Millionen Menschen vom Erdboden ohne auch nur den Hauch einer Erklärung – das Leben kann nicht einfach weitergehen. Doch jeder Akt der Erinnerung ist auch gleichzeitig ein Affront für die Hinterbliebenen, der eine Reaktion hervorruft. Doch für Pattis GR ist es wohl zu einfach, schlicht still zu sein. Stattdessen will sie ihre Mitgliederanzahl erhöhen und ihre Kontrolle ausweiten. Ein Konflikt, der zu genau dem Ende führte, das bereits der Apostel Thomas vor 2000 Jahren vorhersah.

Chief Garvey (ein oranger Justin Theroux) kann über die Geschichte nur lachen, denn er versinkt selbst in seinen eigenen Problemen. Für abstrakte Gedanken ist er momentan nicht zu kriegen, denn seine Lebenswirklichkeit wird weiterhin durch unerklärliche Phänomene erschüttert. Hemden und Anrufe verschwinden einfach, sein Hausalarm spukt herum und der mysteriöse Hundemörder ist immer noch auf freiem Fuß. Immerhin wissen wir nun seinen Namen, Dean, und dass er definitiv keine Einbildung Kevins ist (RIP Fight Club Theorie).

Weiterhin muss er sich mit seiner herrischen Bürgermeisterin rumschlagen, die leider bisher nur eintönig geschrieben ist, obwohl man weitaus mehr hinter der harten Fassade vermuten darf. Ebenso muss er sich um seine Tochter und ihre Freundin Aimee kümmern, die wohl nicht nur eine gute Freundin Jills ist, sondern tatsächlich bei den Garveys zu wohnen scheint.

Doch der interessante Teil seiner Handlung in dieser Folge ist ein Gespräch mit einem Regierungsbeamten, der einige lose Plotenden zusammenführt und die Serie erneut dort punkten lässt, wo sie bisher exzellent funktionierte: beim Worldbuilding. Zu Beginn geben uns die Nachrichten weiter nationalen Kontext. In Florida wurde erneut die Unterkunft eines Kultes zerstört, der laut dem Nachrichtensprecher das Feuer auf die Regierungsbeamten des erweiterten „Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms, Explosives and Cults“ (ATFEC, ehemals nur ATF) eröffnete. Dass diese offizielle Version anzuzweifeln ist, kann man basierend auf den Ausführungen des Agenten Kilaney erschließen, der Kevin offen und direkt anbietet, die „Plage“ in seiner Stadt zu entfernen. Dass dies ein nationaler und institutionalisierter Vorgang ist, zeigen uns die Nachrichten, der Umgang mit Waynes Kommune und die Massenabfertigung zum Schluss.

„Gladys“ (ausnahmsweise gibt der Titel der Episode keine Rätsel auf) bietet uns eine weitere Stunde des Leidens in Mapleton, doch der Subtext erzählt eine viel größere Geschichte. Der Alptraum vieler Tea Party Mitglieder in den USA wird wahr. Die Regierung hat tatsächlich die Kompetenzen und Institutionen, deren Ziel die Verfolgung von Religiösen oder Randgruppierungen ist. Es ist wohl kein Zufall, dass Damon Lindelof sich Buchautor Tom Perrotta als Co-Autoren für diese Folge ausgesucht hat, schließlich geht es um die bestimmende Thematik der Serie. Das zentrale Mysterium wird nicht erörtert, stattdessen wird erforscht, inwieweit sich die Konsequenzen dieses globalen Ereignisses im Makrokosmos im Mirkokosmos auswirken. Die Extremisierung der Regierung und Gesellschaft ist viel schrecklicher als eine Erklärung, die ihre Wurzeln im biblischen Kampf zwischen Himmel und Hölle hat.

Stattdessen ist The Leftovers ein Allegorie der USA nach dem 11. September 2001 und wahrscheinlich nur durch die US-amerikanische Perspektive gänzlich zu verstehen. Wenn Flugzeuge in Hochhäuser fliegen, bleibt nicht mehr viel von den Opfern übrig. Sie verschwinden quasi von einem Moment auf den anderen. Die, die es direkt beobachten, verkraften es kaum. Für andere prägen sich die Geschichten und Bilder für immer ins Gedächtnis ein. Damals starben fast 3000 Menschen. Die Erde drehte sich weiter. Nicht genug, dass die Welt untergehen würde. Doch sie veränderte sich dramatisch. Kriege in weiter Ferne folgten, Schuldige wurden gesucht, andersartig scheinende Religionen wurden verurteilt und verfolgt, ihre Mitglieder verschwanden entweder so brutal wie die Jünger Waynes oder wie die Departed vom Erdboden – Endstation: Guantanamo. Die Ausweitung des Sicherheitsstaates erfolgt hier noch dramatischer, es geht nicht mehr um vermeintlich Extreme im Ausland, sondern um – wenn auch provokative – Bürger im eigenen Land.

Dieser Ansatz ist fruchtbarer als die Entschlüsselung des Mysteriums selbst. Lindelof und Perrotta zeigen uns, in welche Tiefen die Gesellschaft langsam, aber sicher und fast schon unbemerkt abrutschen kann, wenn wir es aus niederen Bedürfnissen wie einem Mehr an Sicherheit zulassen, dass sie Freiheit anderer eingeschränkt wird. Damit wird die Serie quasi bisher auf den Kopf gestellt. Die Mitglieder der GR sind weiterhin komplexe und oftmals unsympathische Menschen, doch der Zuschauer hat sie nicht zu verurteilen oder gutzuheißen. Ihre Existenz, solange friedlich und legal, muss gestattet sein. Deshalb hat Kevin wohl auch bisher so mit sich selbst und ihnen gestrauchelt, im Grunde aber stets beschützt. Nicht nur das Schicksal seiner Frau ist an den Ausgang der Geschichte des GR in Mapletons geknöpft, sondern auch das seiner Nation. Das spürt er tief innendrin. „The Leftovers“ ist vielleicht die thematisch aktuellste Serie der amerikanischen Gegenwart. Sie stellt die Frage, wie es weitergehen soll.

Zitat der Folge: “I say ‘fuck,’ too.”
Meta-Zitate der Folge: “Don’t investigate too hard.”