Zerbröckelnde Menschenbilder
Okay, hier ist die Situation: Gerade stellt Joe Stinziano, seines Zeichens “executive vice president of Samsung Electronics America”, den neuen geschwungenen Fernseher “Curved” auf der diesjährigen CES vor. Es soll der nächste Schritt in eine neue Qualität des heimischen Kinos sein.
Wer besser könnte bei dem Versuch der Vermittelung des Kinogefühls im Wohnzimmer dabei helfen, als ein Regisseur, der es selbst gerne krachen lässt und dessen Filme äußerst beliebt bei der großen Kundschaft zu Hause ist. Also kommt Michael Bay auf die Bühne. Mit großen Schritten hastet er geradezu zum Fernseher. Der Handschlag endet damit, dass er das rechte Bein argwöhnisch in die Luft hebt. Als ob er auf dem Standbein kehrtmachen wolle und zurück durch die Tür verschwinden will.
Er ist offentlich nervös. Er reibt sich die Hände. Seine Augen suchen nach dem Teleprompter. Er findet ihn, sein Blick bleibt gesenkt. Emotionslos liest er ein paar Zeilen ab. Doch dann der Schock, als der Teleprompter aufhört zu funktionieren.
Bereits dort dreht er sich um, schafft dann aber eine volle Drehung wieder zurück zum Publikum. Routine, scheint er sich selbst sagen zu wollen. Er versucht zu improvisieren, doch dann ist es schon längst um den Regisseur geschehen. Stinziano wirft ihm noch ein paar einfach zu beantwortenden Fragen zu, softball questions, doch Bay ist mental schon wieder hinter der Bühne. Und dort verschlägt es ihn noch einer Entschuldigung hin, die er mit dem Rücken zum Publikum auf der Flucht noch einmal wiederholt.
Blut ist im Wasser. Nun kommen die Haie.
Auf Facebook, YouTube, Twitter und in den Kommentarsektionen der Blogs ist die Häme groß. Es herrscht Schadenfreude. Und zu Recht, wenn man zum Beispiel Acheya Wachtel in den Kommentaren auf /Film fragt:
The teleprompter broke. If he can make the highest grossing movies of all time, he should be able to keep up an onstage discussion. And, to boot, the discussion was about what he does for a living! He shouldn’t have even needed a teleprompter.
Was das eine mit dem anderen zu tun hat, bleibt mir verborgen. Was aber sicher ist: Der sonst exzessiv seine Lässigkeit präsentierende Regisseur mit einem Faible für dicke Autos, hübsche Frauen und enorme Explosionen ist plötzlich ganz klein. Und still. Endlich zählen Box Office Erfolge nicht mehr oder die groß zur Schau gestellte Macho-Attitüde. Nun kann man sich über ihn lustig machen.
Und wieso? Weil Bay für das einsteht, was ihm gefällt. Weil seine Filme groß sind und er großkotzig rüberkommen kann. Weil er genau die Filme macht, die er sehen will und damit Erfolg hat. Das muss einem nicht gefallen, aber man muss es tolerieren, wenn nicht sogar befürworten. Und trotzdem bildete sich über die Jahre diese angestaute Wut, die nun in Häme überschlägt.
Bay hat auf seiner Seite selbst schnell reagiert und ein kurzes Statement verfasst.
Wow! I just embarrassed myself at CES – I was about to speak for Samsung for this awesome Curved 105-inch UHD TV. I rarely lend my name to any products, but this one is just stellar. I got so excited to talk, that I skipped over the Exec VP’s intro line and then the teleprompter got lost. Then the prompter went up and down – then I walked off. I guess live shows aren’t my thing.
But I’m doing a special curved screen experience with Samsung and Transformers 4 footage that will be traveling around the world.
Interessanterweise rechtfertigt er sich hier nur, eine “Entschuldigung” bleibt aus. Bay ist natürlich eine Person, die diese Häme und Reaktionen anzieht. Durch seine kommerzielle Nähe zu Werbern ist er traditionell ein gefundenes Fressen für Kritiker. Seit Jahren dreht er zwischen seinen Blockbustern Werbespots für Victoria’s Secret oder leiht seine Persona selbst an Werber, die seine Merkmale natürlich ad absurdum führen. Dazu übte er sich in der Vergangenheit nicht in Bescheidenheit und verteidigte seinen Stil bzw. seine Weigerung ihn zu ändern (“Only pussies do that.“)
Die bittere Realität
Es ist also nicht ganz überraschend Michael Bay auf der CES-Bühne hier wiederzufinden. Das muss aber nicht heißen, dass er gerne dort ist. Die bittere Realität wird wohl sein, dass Bay im Rahmen eines Product Placements Deals mit Samsung für Transformers 4 dort vertraglich erschien und ihm gesagt wurde, dass er nur den Teleprompter ablesen muss.
In Verbindung mit einer Angst vor dem öffentlichen Reden vor einer großen Masse an Leuten helfen dann auch keine einfachen Fragen wie “Was denkst du?” oder “Was inspiriert dich?”. Da macht das Gehirn dicht und jeder Gedanke verschlimmert die Situation, sodass eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion schnell einsetzt und man aus dem Raum ist, bevor man über die Konsequenzen nachdenken kann. Man kann diesen Vorfall durchaus als unprofessionell sehen, aber in einer Welt, die von leeren Phrasen und Oberflächlichkeitenen beherrscht wird, sollte dieses “Versagen” (auch völlig lächerlich als “meltdown” in den US-Medien betitelt, seine Reaktion war alles andere als das, sondern sehr kleinlaut und demütig.) als durch und durch menschlich gesehen werden.
Nur ein Mensch
Jüngst widmete sich der Software-Entwickler Alan Pike diesem Thema, nachdem er für einen Spaß in seiner Applikation kritisiert wurde. Er machte es möglich die memhaft “gehasste” Band Nickelback aus der Musikbibliothek auszublenden. Aus einem Scherz wurde Unprofessionalität.
The behaviours that make us human are not professional. Honesty, frankness, humour, emotionality, embracing the moment, speaking up for what you believe, affection, sincerity.
Wer Emotionen zeigt, ist unprofessionell. Aber Emotionen bestimmen unseren Alltag, Interaktionen und all unsere Gedanken. Emotionen sind die Basis der menschlichen Existenz. Bays Reaktion kann bis in die chemischen Zusammensetzungen in seinem Gehirn zu dem Zeitpunkt diskutiert werden. Am Ende bleibt es doch nur ein kleiner Einblick in das Innenleben eines berühmten Regisseurs durch einen Bruch in der Fassade, die er sich erarbeitet hat. In seinem Artikel gibt Pike Personen mit Publikum Ratschläge, wie man mit Kritik und Kommentaren umgeht. Ratschlag eins trifft eindeutig auf Bay zu.
Resistance: Developing a thick skin. A better way of describing it is learning how to filter feedback in a way that helps you grow, but discards trolling and lashing out. Usually this involves only paying attention to criticism when it comes from somebody you know and trust. If a celebrity comes off like a jerk, this is often what’s happening.
Es ist traurig genug, dass Bay und Berühmtheiten es erst so weit kommen lassen müssen, aber in unserem Medienzirkus, den er zwar auch genießt und der ihm viel Geld einbrachte, ist das Zwang. Harrison Ford, zum Beispiel, leidet seit Jahrzehnten unter dieser Angst, weshalb er Interviews sehr ruppig oder unfreundlich rüberkommen kann, wenn dies nur in Wahrheit nur seine Art ist mit der Situation und seiner Nervosität umzugehen.
Doch nur weil er Regisseur ist (und dort in einem von ihm zu großen Teilen kontrollierten Umfeld mit vielen Menschen, die er sich aussuchen kann, zusammenarbeitet), heißt das noch lange nicht, dass er problemlos vor dieser Masse sprechen kann – oder muss.
Die genauen Umstände werden wir wohl nie erfahren. Überarbeitung, Stress und eine zu kurze Einweisung sowie eine Kurzschlussreaktionen dürften aber alle ihren Einfluss zu diesem Video geführt haben, das nun vielen Leuten Befriedigung einbringt. Wieso?
Um es ganz plump zu sagen: Dieser Job ist schwer. Und ich weiß nicht, ob viele Kritiker selbst schon einmal in dieser oder einer ähnlichen Situation waren. Und das ist keine direkte Kritik an diesen Leuten. Nicht jeder erhält die Chance vor einem Publikum zu sprechen. Mir tun diese Leute leid. Denn dieses Gefühlschaos ist es wert erfahren zu werden. Es ist ein Akt, der einen zu Demut und Selbsterkenntnis führt. Es ist eine durch und durch menschliche Erfahrung, die nie wirklich Routine wird.
Michael Bay ist ein Mensch. Und das ist gut so.