Vereinigte Staaten, 2012
Regie: Shane Carruth
Drehbuch: Shane Carruth
Darsteller: Shane Carruth, David Sullivan
Länge: 77 Minuten
Rating:
“What happens if it works?”
Zeitreisegeschichten sind auf Grund ihrer verstrickten Struktur und realitätsfernen, absurden Natur ohnehin komplex und schwer zu verfolgen. Shane Carruths ‘Primer’ setzt sich in diesem Genre die Krone auf und ist dabei ohne Zweifel zu schlau für das eigene Wohlergehen. Carruth, der den Film mit einem Minimalbudget quasi alleine gestemmt hat – er war Autor, Produzent, Regisseur, Hauptdarsteller, zuständig für Schnitt und Musik – hat sein Erstlingswerk voll mit Termini, Doppelgängern und Zeitachsen/-schlaufen gesteckt, sodass das Endergebnis sowohl als kongeniales Meisterwerk als auch Riesendurcheinander in die Analen des Indiegenre einging.
Aaron (Carruth) und sein Freund Abe (David Sullivan) arbeiten tagsüber bei einem Hightechkonzern und abends in ihrer Garage an verschiedenen Start-Up-Ideen, die sie reich machen sollen. Eine ihrer Maschinen soll Gegenstände leichter machen, als sie eigentlich sind. Sie erreichen ihr Ziel mit einem Nebeneffekt: Die Gegenstände sind nicht nur leichter, sondern auch anscheinend in der Zeit gereist. Eine Minute in ihrer Garage entsprechen 1347 Minuten in der Maschine. Aaron und Abe bauen eine größere Version und reisen selbst. Zunächst ist der Umgang mit ihrer Entdeckung streng und diszipliniert um an der Börse ihr Konto aufzubessern. Doch schon bald versuchen sie Fehler von Freunden und sich selbst zu verhindern und kämpfen gegeneinander in der Zeit.
Nicht nur technisch überrascht der wunderschön geschossene Film, sondern es sind besonders die beiden Hauptdarsteller, die überzeugen. Man nimmt den Beiden ihre Entdeckung sofort ab und die Art, wie sie ihre Dialoge übermitteln, ist aufrichtig, glaubhaft und intelligent. Carruth hat diesen Film laut eigenen Angaben mit 7000 Dollarn selbst finanziert und auf 16mm Film geschossen, noch vor der Digital-Revolution geschossen, die es Indiefilmen heute so leicht macht. Jede Einstellung, jede Szene musste direkt beim ersten Mal sitzen – und es passt. Die gleiche Finesse und Kompetenz legt Carruth, ein ehemaliger Mathematikstudent, auch bei seiner Geschichte an.
Er macht keine Zugeständnisse gegenüber dem Publikum und schreibt seine Dialoge kompromisslos komplex. Aaron und Abe diskutieren über ihre Entdeckung mit Begriffen und einer solchen Geschwindigkeit, dass man selbst als aufmerksamer und intelligenter Zuschauer nicht beim ersten Mal nachvollziehen kann, was genau gerade vor sich geht. Das führte natürlich zum Kultstatus unter Filmbuffs, aber selbst durchschnittliche Kinobesucher dürften sich nach den 77 Minuten wundern, ob sie gerade ihre Zeit verschwendet haben. ‘Primer’ ist kein Film, der unterhalten will und den Zuschauer zum Denken anregen will, nein, er zwingt ihn dazu. Viele Schlüsselszenen fehlen und die Charaktere stellen sich oftmals die gleichen Fragen wie die Zuschauer. Es ist ein Puzzle, das viele Nerds, Geeks und Diskussionen noch jahrelang beschäftigen wird.
‘Primer’ ist ein unverfrorenes Low-Budget Science-Fiction-Meisterwerk mit fesselnden Charakteren und einer fasznierenden als auch beängstigenden Geschichte, die Filmfans noch für Jahrzehnte beschäftigen wird.